Spaziergang mit Lia Hiltz und Paul Enck (13): Maison d’0range, das Haus mit den vier Leben …

Abb. 1  Maison d’Orange
© Lia Hiltz

Paul: Lia, das Bild (Abb. 1) gefällt mir, aber was meinst du mit „hinterm FG“? Lia: Das ist die Villa hinter dem Französischen Gymnasium, jeder nennt das FG so, der eine Verbindung zu dieser Schule hat 🙂 Paul: Ahhh, das „Maison d´Orange“, nicht wegen der Farbe, sondern wegen der Hugenotten aus der Provinz Orange, später eine Villa der Verlegerfamilie Ullstein. Dieses Haus kann vier Geschichten erzählen, und alle sind spannend und ein Stück Original Berlin.

Das erste Leben erhielt das Haus mit seiner Erbauung als „Maison d’Orange“ durch die Hugenotten aus der französischen Provinz Orange im Jahr 1883. Das Maison d’Orange hatte zunächst ab 1705 an der Dorotheenstraße 26 residiert, in einem mit englischen Spendengeldern gekauften Haus aus der barocken Frühbebauung der Dorotheenstadt. 1794 war das Haus komplett neu gebaut worden (Bild 2 links), und noch bis 1883 Heimat für die aus Orange vertriebenen „Refugiés“; wenngleich natürlich nicht alle hier lebten, es waren schließlich mehrere Hundert nach Berlin gekommen. Hier wohnten vor allem Witwen und wenig bemittelte Personen. Im Jahr 1883 verkaufte die Gemeinde das Grundstück für fast eine halbe Million Reichstaler (Immobilien im Innenstadtbereich waren wertvoll geworden) und kaufte stattdessen für 25.000 Taler eine Parzelle im Kielgan’schen Villenareal, Ulmenstraße 4 (s. mittendran vom 6.4.2021) und ließ dort ein neues Wohnhaus bauen (Bild 2 Mitte) (1).

2. Links: Aufnahme von F.A. Schwartz von 1888 des Maison d’Orange, Charlottenstraße 26, mit freundlicher Genehmigung der Stiftung Stadtmuseum Berlin, Inventar Nr. IV 70/177 V; rechts oben: Das Maison d´Orange 1884 in der Buchenstraße 4, aus Muret (1), Seite 152, ebenfalls in Wikipedia – https://de.wikipedia.org/wiki/Maison_d’Orange – gemeinfrei; rechts unten: eigene Aufnahme vom 15.1.2021)

Das zweite Leben bekam das Haus mit dem Verkauf 1911 an die Verleger-Familie Ullstein. Die war 1848 aus Fürth nach Berlin gekommen und mischte hier den Zeitungs- und Buchmarkt gehörig auf. Als der Senior, Leopold Ullstein (1826-1899), starb, übernahmen seine fünf Söhne (Hans, Rudolf, Franz, Louis und Hermann) das inzwischen erheblich gewachsene Verlagsimperium. Dr. Franz Ullstein (1868-1945), der mittlere der fünf, kaufte das dann „Villa Ullstein“ genannte Gebäude (Bild 2 rechts), ließ es umbauen und nutze es als repräsentatives Privathaus bis 1939; seine vier Brüder wohnten ähnlich nobel in verschiedenen Teilen der Stadt, während sich die Firma im Wesentlichen im „Zeitungsviertel“ Friedrichstadt (Kochstraße) ausbreitete (2). Im Nationalsozialismus wurde die Firma aufgrund ihres Einflusses, aber auch wegen der jüdischen Herkunft der Familie, gezwungen, ihre verschiedenen Zeitungen und Firmenteile zu verkaufen oder einzustellen. Franz Ullstein emigrierte 1939 und starb im November 1945 bei einem Verkehrsunfall in New York.

Das dritte Leben des Hauses währte nicht lang: Laut Adressbuch für das Jahr 1940 hatte die Landesvertretung von Sachsen (Dresden) in Berlin das Haus übernommen und blieb dort bis Kriegsende 1945, nutzte somit die Räume vor allem wohl als Büro und vermutlich für Repräsentationsaufgaben. Und im vierten Leben kehrte das jetzt für Bürozwecke genutzte Maison d’Orange in die Hände der französischen Gemeinde zurück, als diese 1974 das ganze Areal der eingezogenen Maien- und Buchenstraße in der Derfflingerstraße im Austausch gegen das Gelände des FG erhielt, das seit 1947 im Wedding, in der ehemaligen französischen Zone der Stadt, beheimatet war, und hier neu baute − aber das ist eine eigene Geschichte.

 

Literatur

  1. Ed. Muret. Geschichte der Französischen Kolonie in Brandenburg-Preußen unter besonderer Berücksichtigung der Berliner Gemeinde. Berlin, W.Büxenstein 1885 (im Internet unter: https://digital.zlb.de/viewer/image/34037775/0/LOG_0000/)
  2. 100 Jahre Ullstein 1877 – 1977. Ein Bilderbuch mit Randbemerkungen von Christian Ferber. Ullstein Verlag, Berlin 1977.

 

 

 

 

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