Auch diese Geschichte ist eine, in der wir vor allem den Beginn gesucht hatten, den Weg, den eine jüdische Familie genommen hatte, bis sie im Lützow-Viertel angekommen war. Der Hinweis auf die Geschichte der Familie des jüdischen Kaufmanns Martin Popper, der von 1914 bis 1932 am Lützowplatz 2 wohnte, kam von einem italienisch-amerikanischen Nachkommen der Familie, Daniele Armaleo, der uns im Sommer 2023 kontaktiert hatte, nachdem wir über den Lützowplatz geschrieben hatten (mittendran 22. September 2024). Seitdem recherchieren wir und haben zu diesem Zweck nicht nur digital zugängliche Quellen ausgewertet und das Landesarchiv Berlin besucht, sondern sind in Archive nach Hildesheim und Hannover gefahren, haben mit dem Staatsarchiv in Hamburg kommuniziert, mit den Universitätsarchiven in Göttingen, Düsseldorf und Basel, und haben noch einen Besuch im Landesarchiv Sachsen-Anhalt in Dessau vor uns.
Popper-Familien in Hildesheim
Die ältesten gesicherten Spuren der Familie Popper fanden sich in Hildesheim zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Dass das in unseren Augen sehr christlich-katholische Hildesheim zu diesen Zeiten eine größere jüdische Gemeinde hatte, war uns neu. Wer die Geschichten jüdischer Familien an dieser Stelle aufmerksam gelesen hat, dem wird auch auffallen, dass diese Familie aus „Westdeutschland“ nach Berlin kam und nicht aus den Osten; die „Ostjuden“ dieser Zeit (um 1800) galten mehrheitlich als arm, die Familien, die bereits vorher in den Westen des Reiches gekommen waren, waren zwar auch arm gewesen, viele hatten aber die Zeit genutzt, um sich erfolgreich zu assimilieren. Die Geschichte der Hildesheimer Juden reicht bis ins frühe Mittelalter zurück, war aber ähnlich wechselhaft wie in anderen Gemeinden und sah Perioden der Vertreibung im Wechsel mit Wiedereinwanderung und relativer Akzeptanz (1).
Das bischöfliche Hildesheim (Bild 1) kam 1803 zu Preußen, als Entschädigung für die linksrheinischen, an das napoleonische Frankreich abgetretenen Reichsgebiete. Hildesheim „erbte“ damit die preußische Tradition, die jüdischen Einwohner sehr genau zu erfassen: Die Städte und Gemeinden mussten jährliche Berichte über ihre jüdischen Bewohner, über Geburten, Heiraten und Todesfälle berichten, und diese Berichte bilden die Grundlage dessen, was wir über die Familie Popper herausfinden konnten. 1807 wurde Hildesheim dem Königreich Westphalen zugeschlagen, das von Napoleons Bruder Jerome regiert wurde, und auch die – katholischen – Franzosen setzten diese Registrier-Tradition fort, ebenso wie nach den Befreiungskriegen 1813 das Königreich Hannover, das Hildesheim übernahm, allerdings die detaillierten Namensregister durch simple Statistik ersetzten, so dass ab 1827 die städtischen Register unvollständig wurden. Im Jahr 1866 schließlich wurde aus dem Königreich Hannover die preußische Provinz Hannover, die die preußische Registriertradition wieder aufnahm, bis zur Einführung der – religionsneutralen – Standesämter 1875 im gesamten deutschen Reich.

Bild 1. Deutsche Kleinstaaterei 1789, und mittendrin das Bistum (Bm) Hildesheim (aus: https://www.wikiwand.com/de/articles/hochstift_Hildesheim).
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es in Hildesheim mehrere Familien mit dem Namen Popper, allerdings gehörten nicht alle der jüdischen Gemeinde an. Nach einer Auswertung der 24 Adressbücher zwischen 1827 und 1871 gab es 14 erwachsene Individuen mit den Nachnamen Popper und mit unterschiedlichen Vornamen, allerdings zu Beginn auch einige, deren Vornamen nicht genannt wurden, sondern die stattdessen als Witwe, Witwer oder nur mit einer Berufsangabe gelistet wurde. Außerdem wechselte die Schreibweise des Nachnamens ab und zu, so dass aus manchem Popper Poper oder Poppe wurde. Ähnlich willkürlich wurde teilweise auch mit den Vornamen (und deren Schreibweise) umgegangen.
Eindeutiger wurde die Eingrenzung durch die Namensliste der Angehörigen der jüdischen Gemeinde, die 1835 zur Finanzierung der neuen Synagoge herangezogen werden sollten (2). Gemäß dieser Liste gab es dreiunddreißig jüdische Familien, also etwa 350 Einwohner von insgesamt 15.000 in ganz Hildesheim. Drei dieser jüdischen Familien trugen den Namen Popper: dies waren Meyer Popper (In der Neuenstraße 1030), Louis Popper (Wollenweberstraße 631) und die Witwe Josefine Popper (Im gelben Stern 1092), die alle drei auch in den Adressbüchern Hildesheims in diesen Jahren auftauchten. Um diese alte wie die neue Synagoge „Am Lappenberg“ (Bild 2) gab es seit etwa 1600 eine jüdische Siedlung, in der allerdings nicht alle und nicht nur Juden wohnten (1).

Bild 2. Stadtplan mit der Synagoge „Am Lappenberg“ (Scan aus: (2)).
Verfolgt man nun diese drei Familien rückwärts, kann man zumindest für zwei Namen (Meyer Popper, Louis Popper) deren genealogische Herkunft weiter klären. Dazu mussten wir aber in das Stadtarchiv von Hildesheim und in das Niedersächsische Landesarchiv nach Hannover. Ausgewertet wurden die jährlichen Berichte über Änderungen des Personenstands der Juden zwischen 1808 und 1826 sowie ab 1856 (Bild 3), die oft auch Altersangaben und Geburtstage vor dieser Zeit enthielten (3).

Bild 3. Meldebogen der in Hildesheim lebenden jüdischen Familien im Jahr 1810. In der dritten Zeile von unten die Familie Joseph Popper mit Ehefrau Gelle und den beiden Söhnen Meyer und Levi (aus (3)).
Die Herkunft der Familie Popper in Hildesheim
Es gab 1808 drei männliche jüdische Familienvorstände mit Nachnamen Popper in der Hildesheimer Gegend, die, gemessen am Geburtsdatum, Brüder gewesen sein könnten: Jacob Popper (*1758), Joseph Hirsch Popper (*1759) und Joseph Popper (*1751). Deren weitere Herkunft blieb unbekannt.
– Jacob Popper in Alfeld, geboren 1758 in Gröpzig, Sterbedatum unbekannt. Er war mit einer July Friede verheiratet, geboren 1790 in Wettensen und verstorben 1863 in Hildesheim, und sie hatten einen Sohn. Die Familie Friede lebte in Wettensen, kam aber aus Frankfurt/Main.
– Joseph Hirsch Popper, geboren 1759 vermutlich in Hildesheim, war in erster Ehe seit 1791 verheiratet mit einer bislang Unbekannten. Aus dieser Ehe stammt ein Sohn Levin (* 1792). Joseph Hirsch Popper heiratete in zweiter Ehe Rosa Levi geborene Emanuel, die um 1798 geboren wurde. Rosa brachte am 8. Dezember 1819 ein Mädchen (Röschen) zur Welt; die Mutter verstarb am 6. Januar 1820 im Wochenbett. Joseph Hirsch Popper war danach in dritter Ehe (1820) verheiratet mit Marianne Salomon, geboren um 1792, verstorben 1867 in Hildesheim. Aus dieser dritten Ehe stammen fünf Kinder: Hannchen (* 1821), Juda (* 1822, verstorben 1826), Salomon (* 1824), Josef (*1826) und Falk David (* 1827). Joseph Hirsch Popper verstarb vor 1867.
– Joseph Popper, geboren 1751 Wrisbergholzen, verstorben 1832 in Hildesheim. Er ist der erste gesicherte Popper in der Ahnenfolge der Familie, die wir hier rekonstruieren.
Die Urgroßeltern des Martin Popper: Joseph Popper und seine Frau Gelle
Joseph Popper war der Urgroßvater von Martin Popper. Geboren 1751 in Wrisbergholzen (18 km südlich von Hildesheim), verstarb er 1832 in Hildesheim. Um 1790 heiratete er vermutlich in Wrisbergholzen eine Gelle, geboren um 1754, deren Geburtsort und Mädchenname unbekannt sind und die 1817 in Hildesheim an „Wassersucht“ starb (vermutlich Aszites – Ödeme – auf der Basis einer Herzinsuffizienz, manchmal auch Bauchwassersucht genannt). Das Ehepaar hatte zwei Söhne: Meyer Joseph, geboren 1790, und Levi (Louis) Joseph, geboren 1792. Joseph Popper übersiedelte mit seiner Familie 1811 von Wrisbergholzen nach Hildesheim (Bild 4).

Bild 4. Joseph Popper übersiedelt von Wrisbergholzen nach Hildesheim im Jahr 1811 (aus: (3)).
Louis Popper heiratete 1826 in Hildesheim die Witwe Henriette Wolff geborene Lesser Cohn. Sie bekamen 1827 ein Mädchen (July) und waren auch 1840 noch in Hildesheim nachweisbar, später jedoch nicht mehr.
Die Großeltern des Martin Popper: Meyer Popper und seine Frau Adelheid
Meyer Popper, der zwischen 1827 und 1852 als „Trödler“ im Adressbuch firmierte (dort heißt es anfänglich „kleiner Handel“) und ab 1853 als „Particulier“ (jemand, der von seinem Besitz lebt), heiratete 1815 in Hildesheim Adelheid Warrenstedt, geboren 1782 in Hildesheim. Die Eltern der Adelheid Warrenstedt waren der Simon Isaac Warrenstedt, geboren 1748 in Hildesheim, verheiratet in erster Ehe (vor 1773) mit Teiche Mayer (1748 – 1809) aus Hannover. Sie hatten drei Kinder: Simon (* 1773), Moshes (* 1775) und Adelheid (* 1782). Nach dem Tod seiner Frau heiratete Isaac Warrenstedt in zweiter Ehe 1810 Sara Joel aus Berlin. Im Jahr 1826 war die Familie, bis auf Adelheid, nicht mehr in Hildesheim nachweisbar, Isaak war in Hildesheim verstorben.
Das Ehepaar Meyer und Adelheid Popper hatte fünf Kinder: Isaak (Isidor) (*1816), Hirsch Levi (Hermann) (*1818), Teichen (Therese) (*1820), Juda (Julius) (*1822) und Joseph (*1824) (Bild 5). Adelheid verstarb 1852 in Hildesheim nach einem Schlaganfall. Meyer Popper verstarb am 10. August 1860 in Dessau in der Nähe seines Sohnes Julius und seiner Tochter Therese, die dort mit dem Buchdrucker Heinrich Neubürger verheiratet war (s. Teil 2).

Bild 5. Die Heirat von Meyer Popper mit Adelheid Warrenstedt 1815 und die fünf nachfolgenden Geburten ihrer Kinder (aus: (3)).
Literatur
- Herbert Obenaus, Hrsg. Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Band II. Wallstein Verlag, Göttingen 2005, Seite 835-870.
- Herbert Reyer: Die Finanzierung des Hildesheimer Synagogenneubaus am Lappenberg von 1848/49. In: Hildesheimer Jahrbuch für Stadt und Stift Hildesheim. Band 75 (2003), Seite 111-137.
- Archivalien im Stadtarchiv Hildesheim (Bestand 101 – 898 Nr.3; Bestand 101 – 899 Nr.1, Nr.2, Nr.3; Bestand 101 – 1361 Nr.1417) und im Niedersächsischen Landesarchiv Hannover (ID 83b, Nr. 194; Nr. 195; Nr. 196; Nr. 197).