Die Familie von Franz Ledermann
(Teil 4)

aus der Serie „Jüdische Geschichte im Lützow-Viertel“ (4.4), von Prof. Dr. Paul Enck, www.paul-enck.com.

Käthe Kaempfer geborene Ledermann war die erste aus der Ledermann-Familie, die sich im Lützow-Viertel niederließ, noch vor ihrem Bruder Franz, auch wenn dieser früher nach Berlin kam. Da sich die Familie in der Nachfolge von Käthe und Felix, ihrem Mann, Kaempfer schrieb, wird diese Schreibweise hier durchgängig verwendet, auch wenn einige Dokumente die Schreibweise „Kämpfer“ benutzten.

Die Schwester: Hedwig Käthe Kaempfer geb. Ledermann

Käthe Ledermann wurde am 25. März 1881 in Königshütte (Oberschlesien; heute: Chorzow, Polen) geboren. Zwar gab es – inzwischen – auch für Mädchen eine Schulpflicht, aber einen Nachweis einer Ausbildung haben wir nicht – in ihrer Heiratsurkunde aus Hirschberg heißt es lapidar „ohne Beruf“. Sie heiratete am 1. Februar 1903 in Hirschberg den Rechtsanwalt Dr. Felix Kaempfer aus Posen; das Ehepaar hatte zwei Kinder, Heinz Martin, geboren am 20. April 1904, und Otto Hans geboren am 18. September 1906, beide geboren in Posen. Der jüngere der beiden, Otto, verstarb am 19. Oktober 1918 „im 13. Lebensjahr nach schwerer Krankheit“ (Posener Tageblatt Anzeige vom 20. Oktober 1918) (Bild 1); es ließ sich nicht ermitteln, woran er gestorben ist.

Bild 1: Anzeige im Posener Tageblatt vom 20. Oktober 1918 für Otto und im Berliner Tagblatt vom 10. Dezember 1920 für Felix Kaempfer. Die Fotos von den Grabsteinen sind vom jüdischen Friedhof Berlin-Weissensee auf der Webseite www.BillionGraves.com.

Der Schwager: Rechtsanwalt Dr. Felix Kaempfer

Felix Kaempfer wurde in Posen am 29. Mai 1869 geboren, Sohn des Paul Peretz Kaempfer (1836 – 1919) und seiner Frau Pauline, geborene Gensler (1840 – 1891).

Felix hatte noch einen älteren Bruder, Gustav, geboren am 28. August 1864 ebenfalls in Posen, der bereits im Jahr 1884 nach Berlin zog und hier einen Handwerksberuf lernte: Er lernte vermutlich bei einem Onkel gleichen Namens und wurde Dekorateur und Tapezierer (Alte Jacobstr. 56), verlor aber nach dem ersten Weltkrieg seinen Beruf und arbeitete als Straßenreiniger (1920). Wir können nur vermuten, dass er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 deportiert und ermordet wurde – sein Neffe Heinz Kaempfer (s. unten) stellte 1962 einen entsprechenden Wiedergutmachungsantrag. Eine französische Webseite (1) gibt Auskunft über die weitergehende Genealogie der jüdischen Familie Kaempfer.

Anders als sein Bruder, stattdessen wie seine beiden Schwäger, studierte Felix Rechtswissenschaften, blieb allerdings für das gesamte Studium in Berlin: Er immatrikulierte sich an der Friedrich-Wilhelms-Universität am 26. Oktober 1886, nachdem er im Herbst 1886 im Gymnasium in Posen das Abitur bestanden hatte. Das Studium dauerte vom WS 1886/7 bis einschließlich WS 1888/9, in dieser Zeit hatte er laut dem Matrikelbuch vier verschiedene Adressen in Berlin. Am 15. Januar 1889 meldete er sich ab (Exmatrikulation) (Bild 2).

Bild 2: Bestätigung der Exmatrikulation von der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin vom 15. Januar 1889.

Nach Auskunft des Universitätsarchivs hat er nicht in Berlin promoviert, so dass wir nur feststellen können, dass er an einer anderen Universität, z.B. in Breslau, promoviert wurde – Matrikel für Breslau sind digital nicht vorhanden. Unklar ist auch, wann ihm der Titel Justizrat verliehen wurde, üblich war dies frühestens 25 Jahre nach Beginn der beruflichen Tätigkeit oder bei Vorliegen besonderer öffentlicher Verdienste.

Nach Angaben seines Schwagers Franz Ledermann in einem Lebenslauf musste der Rechtsanwalt und Justizrat Dr. Felix Kaempfer „wegen seiner deutschen Gesinnung“ 1920 Posen verlassen und ließ sich in Berlin nieder. Hier wurde er noch an den Landgerichten I bis III zugelassen, aber er verstarb kurze Zeit später.

Posen war 1793 im Zuge der dritten polnischen Teilung zu Preußen geschlagen worden (2), diese Teilung wurde vom Wiener Kongress 1815 bestätigt, änderte aber nichts an dem Umstand, dass Polen überwiegend katholisch war und die protestantischen Preußen, die in der Minderheit waren, als Besatzungsmacht empfanden – und dass Preußen mit der Einsetzung des Herrn Flottwell als Oberpräsident der Provinz (s. mittendran vom 19.12.2020) und mit rigoroser Durchsetzung seiner Politik dies auch unterstrich. Da die Posener Juden mit dieser Politik die formelle bürgerliche Gleichberechtigung (auf der Basis des Erlasses von 1812) erhielten, waren sie deutschfreundlich und den Polen ein Dorn im Auge. Das rächte sich, als nach dem für das Deutsche Reich verlorenen Ersten Weltkrieg Posen wieder zu Polen kam: „Im Januar 1919 begannen die Internierungen. Führende Persönlichkeiten in Handel, der Justiz, der Verwaltung wurden in Schutzhaft genommen, darunter einige jüdische Männer … Juden, ob national deutsch oder national jüdisch, wurden in erster Linie interniert, um ihnen ihre wirtschaftlichen Positionen zu entreißen … Auf diese Weise wollte man die Juden, die etwa 15% der Bevölkerung ausmachten, hinausdrängen …“  (3).

Seinen Nachrufen können wir entnehmen, dass Felix Kaempfer „nach langem und schwerem Leiden“ gestorben war – der „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ kondolierte, auch der „Verein für das liberale Judentum in Deutschland“ (Bild 3), und auch noch 10 Jahre später, anlässlich des 70. Geburtstags seines Freundes und Kanzleipartners, Justizrat Michael Placzek, wurde seiner erinnert (4). Er wurde auf dem jüdischen Friedhof Berlin-Weissensee bestattet (Bild 1).

Bild 3: Nachruf auf Felix Kaempfer in der Monatsschrift „Liberales Judentum“ vom 12. November 1920.

Der Neffe: Heinz Kaempfer

Heinz, der ältere Sohn von Felix und Käthe Kaempfer, zog mit seinen Eltern 1920 nach Berlin und setzte dort seinen Schulbesuch fort; er machte Ostern 1822 am Prinz-Heinrichs-Gymnasium (Bild 4) das Abitur und wollte anschließend Kaufmann werden – was und wo er in den folgenden Jahren gearbeitet hat, konnte bislang jedoch nicht ermittelt werden.

Bild 4: Stahlstich des Prinz-Heinrich-Gymnasiums in Schöneberg von 1894 (aus: Das Prinz-Heinrichs-Gymnasium zu Schöneberg 1890-1945. Geschichte der Schule von Heinz Stallmann. Berlin, Eigendruck)

Die Familie wohnte in der Potsdamer Straße 109 und blieb dort auch nach dem Tod von Felix Kaempfer. Im Adressbuch ist sie mit dieser Adresse bis 1930 verzeichnet, im jüdischen Adressbuch von 1931-32 ebenfalls. Sie hielt offensichtlich engen Kontakt zur Familie von Franz Ledermann, der ebenfalls 1918 nach Berlin gezogen war: Schwester Käthe Kaempfer war eine der Trauzeugen bei seiner Heirat im Jahre 1924, und sie war die häufigste Zuhörerin bei den Ledermann´schen Hauskonzerten, bis zum letzten Konzert in Berlin am 29. April 1933 (s. unten). Käthe Kaempfer und ihr Sohn Heinz emigrierten jedoch nicht, wie wir lange angenommen hatten, gemeinsam mit der Familie Franz Ledermann nach Holland, sondern blieben in Berlin. Käthe wohnte laut Adressbuch von 1931 bis 1939 in Schöneberg (Kufsteiner Straße 18).

Heinz hatte am 4. Juni 1936 in Berlin-Dahlem die Eva Susanne Wrzeszinski (geboren in Berlin am 16. Februar 1914) geheiratet, Tochter des bekannten Berliner Rechtsanwalts Dr. Richard Wrzeszinski aus Breslau, der 1913 in Berlin eine Elisabeth Auguste Kaiser geheiratet hatte; er starb am 8. Januar 1934 in Berlin (5) und hinterließ die Witwe und drei Kinder: Neben Eva hatte er zwei Söhne (Gunther Wilhelm, geboren 11. September 1916, und Reinhard David, geboren am 15. Januar 1925), die beide nach England emigrierten und dort ihren Nachnamen in Wendon änderten.

Die Witwen Kaempfer und Wrzeszinski waren Trauzeuginnen bei der Hochzeit von Heinz und Eva. Das Ehepaar emigrierte nach Angaben von Eva (6) 1936 nach Holland, während Heinz´s Mutter erst 1939 Deutschland verließ; der Verbleib von Evas Mutter ist zur Zeit unklar. Auf der Heiratsurkunde von Heinz und Eva wird sein Wohnsitz mit Den Haag (Sijzenlaan 55E) und sein Beruf mit Kaufmann angegeben (Bild 5), er muss also zumindest vorher in Holland gewesen sein, um bei der Heirat eine entsprechende Meldebescheinigung vorlegen zu können. Heinz und Eva hatten zwei Söhne, deren Identität aus Datenschutz-Gründen hier nicht genannt werden sollen.

Bild 5: Heiratsurkunde von Heinz Kaempfer und Eva Wrzeszinski vom 4. Juni 1936 in Berlin-Dahlem.

Nach der deutschen Besetzung Hollands 1940 wurde Käthe, wie ihr Bruder Franz und dessen Familie, nach Westerborg in ein Übergangslager und von dort nach Auschwitz deportiert, wo sie am 17. November 1943 ermordet wurde.

Auf einer französischen Internet-Seite (1) wurde berichtet, dass Heinz Kaempfer 1986 in Den Haag in den Niederlanden verstorben sei. Das Sterbejahr, zusammen mit der Angabe über den Ort, an dem er lebte, erlaubte aber eine weitere Recherche. Holländische Stadtarchive sind digital bestens organisiert, es war also ein leichtes, die Wohnadresse der Jahre 1940 bis 1945 zu finden, die Suche nach verbliebenen Angehörigen nach dem Krieg und zumindest einen kleinen Ausschnitt des Lebens: Heinz Kaempfer war in den Jahren nach dem Krieg in der 1937 gegründeten „Society for Japanese Art“ (7) engagiert, die 1949 nur 48 Mitglieder hatte, heute aber über 500 Mitglieder weltweit; er war deren Sekretär und auch Vorstandsvorsitzender. Die Gesellschaft ehrte ihn zu seinem 75. Geburtstag 1979 mit einer Festschrift (8) und posthum im Jahr 1989 mit der Benennung eines Stipendienprogramms, dem „Heinz Kaempfer Fund“ (Bild 6), der seit 1990 Stipendien und Preise vergibt. Sein Sohn erzählt in einem Spezialheft der Zeitschrift anlässlich der Feier zum 100. Geburtstages von Heinz Kaempfer 2005 (6) einige wenige biografische Details, aber insbesondere, wie es zu dieser Liebe zur japanischen Kunst gekommen war, die in Berlin in einer Kunstgalerie am Pariser Platz ihren Anfang nahm. Im Jahre 1931 fand in Berlin eine große Ausstellung japanischer Kunst statt (9), die wohl den Rahmen dieser „Liebe auf den ersten Blick“ abgegeben haben mag.

Bild 6: Anzeige des „Heinz-Kaempfer-Fund of the Society of Japanese Art“ auf deren Webseite (7).

Schlussendlich: Im Landesarchiv Berlin lagern die Akten der Anträge auf Wiedergutmachung, die Eva und Heinz Kaempfer in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts gestellt hatten für die materiellen Verluste in ihren jeweiligen Berliner Familien – hoffentlich nicht vergebens.

Literatur

  1. (www.kaempfer.free.fr)
  2. Melderegister der Stadt Posen – Poznań 1870-1931, online zugänglich: (https://szlachta.fandom.com/de/wiki/Melderegister_Posen)
  3. H.Freeden: Leben zur falschen Zeit. Transit Verlag, Berlin 1991, Seite 22f
  4. Jüdische Liberale Zeitung 1930, Seite 2
  5. „Anwalt ohne Recht“ (Simone Ladwig-Winters: Anwalt ohne Recht. Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin nach 1933. BeBra-Verlag, Berlin 1998, S. 223) irrt hier sowohl mit den Geburts- wie mit dem Sterbedatum.
  6. R.Kaempfer: Growing up under the scrutiny of a great Japanese Lady. Andon 85. Bulletin of the Society for Japanese Art, Vol. 85, 2009.
  7. (https://www.societyforjapaneseart.org)
  8. W.R Van Gulik, M.Forrer, J.Hillier, Eds.: A Sheaf of Japanese Papers: In tribute to Heinz Kaempfer on his 75th Birthday. John Benjamins Publishing Co., Amsterdam 1979
  9. (https://de.wikipedia.org/wiki/Ausstellung_japanische_Malerei_1931)

Redaktion

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