Spaziergang mit
Lia Hiltz und Paul Enck (5):
Humboldt-Apotheke

Wenigen Personen in der Berliner Geschichte ist es gelungen, bereits vor ihrem Ableben so berühmt zu sein wie Alexander von Humboldt (1769-1859); die Humboldt-Apotheke in der Potsdamer Chaussee 29 (heute: 74) wurde 1875 nach ihm benannt, nachdem er 1856 Ehrenbürger der Stadt geworden war. Noch immer ziert ein Bild von ihm die Offizin der Apotheke, jetzt in der Lützowstraße 93, nachdem der ursprüngliche Platz durch die Kriegsereignisse 1945 zerstört worden war. Die jetzige Apothekerin, Maria Papastamatiou, kann dabei auf eine eindrucksvolle Apothekengeschichte zurückblicken.

Bild 1: „Die Apothekerin“ von Lia Hiltz – es war nicht als Porträt der heutigen Apothekerin Maria Papastamatiou beabsichtigt.

Der Apotheker, der die Humboldt-Apotheke 1846 einrichtete, war Gustav Otto Theodor Heyder (1811-1853) aus Berlin, der um 1840 die Henriette Haseloff (1813-1897) heiratete, zunächst nach Altlandsberg (Märkisch-Oderland) zog und 1847 nach Berlin kam. Er erhielt am 16. Dezember 1846 das königliche Privileg, eine Apotheke an der Potsdamer Chaussee 29 zu eröffnen. Privileg nannte man die Konzession deshalb, weil die Apotheker in keiner Zunft oder Genossenschaft selbstorganisiert waren, sondern die Betriebserlaubnis direkt von der jeweiligen Obrigkeit erhielten und meist nur ad personam. Damit verfiel bei Tod oder Ausscheiden aus dem Beruf das Privileg und musste vom Nachfolger neu beantragt werden.  Das Besondere am Heyderschen Privileg war, dass es ihn verpflichtete, auf dem Grundstück hinter dem Haus acht Blutegel-Teiche zur Zucht medizinischer Blutegel anzulegen und zu unterhalten. Warum es diese Verpflichtung gab, ist der Konzession nicht zu entnehmen, aber es gab traditionell auf der anderen Seite der Potsdamer Chaussee, im Bereich der sog. Bullenwiese, Blutegel-Teiche (s. Bild 2), die möglicherweise aufgrund der dort 1838 angelegten Berlin-Potsdam-Eisenbahntrasse eingestellt worden waren. Blutegel waren teure Medizin: 1 Blutegel kostete 3 Silbergroschen, 30 Silbergroschen kamen auf 1 Taler, und dessen Kaufkraft entsprach 1838 etwa 33 Euro; ein Blutegel kostete also etwa 3 .

 

Bild 2: Die Situation an der Potsdamer Chaussee etwa im Jahre 1846, als die Apotheke genehmigt wurde. Das Bild unten links ist eine Tuschezeichnung des Hinterhauses (Gartenhaus) der Hausnummer 29 von E. Heyder, vermutlich einem der Kinder des ersten Apothekers, nach einem Foto von Hermann Rückwardt (1845-1916) (Quelle: Museum und Archiv Tempelhof-Schöneberg mit freundlicher Genehmigung).

Diese Verpflichtung wurde jedoch 1860 wieder aufgehoben,nachdem mehrfach angestellte Versuche, sowie die örtliche Untersuchung des Apothekengrundstücks ergeben haben, daß dasselbe zur Anlegung einer Blutegel-Anstalt nicht geeignet …„. Ob es der nahe, zwischen 1848 und 1850 ausgebaute und schiffbar gemachte Schafgraben (jetzt: Landwehrkanal) war, oder der Umstand, dass dieser Teil des Schöneberger „Tieflandes“ zu sumpfig für eine Blutegelzucht war, oder gar die zunehmende Bebauung dieser Berliner Kolonie (noch gehörte sie zu Schöneberg) und die fehlende Kanalisation dafür die Ursache war, wird im Bescheid vom 30. August 1860 nicht ausgeführt, der die Apotheker-Witwe Heyder von der Verpflichtung befreite, die Zucht weiter zu betreiben. Der Apotheker Heyder war bereits 1853 im Alter von nur 42 Jahren an einem „organischen Unterleibsleiden“ verstorben das konnte ohne Autopsie alles mögliche sein, ein Prostata, Blasen- oder ein Darm-Karzinom beispielsweise. Er hinterließ die Witwe und 9 minderjährige Kinder. Das Privileg war auf sie übergegangen (die Apotheke wurde vermutlich von einem gelernten Apotheker, einem Provisor geführt), aber 1867 verkaufte die Witwe die Apotheke an den Apotheker Carl Blume. In der Folge und bis heute hatte die Apotheke dann 16 Eigentümer, manche davon nur wenige Monate oder Jahre. Dies deutet zumindest darauf hin, dass in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die wirtschaftliche Lage dieser Apotheke (oder aller Apotheken in Berlin?) nicht allzu gut gewesen sein kann.

Die mehr als 30 Jahre, die Maria Papastamatiou die Apotheke führt, sind ein einsamer Rekord, den nicht mal die Gründerfamilie Heyder geschafft hat.

Literatur: Friedhelm Reinhard. Apotheken in Berlin. Von den Anfängen bis zur Niederlassungsfreiheit 1957. Herausgegeben vom Berliner Apotheker-Verein anläßlich seines 275jährigen Bestehens. Eschborn, Govi Verlag 1998, insbesondere S. 96-7

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