Spaziergang mit Lia Hiltz und Paul Enck (19): Cuius regio, eius religio

„Cuius regio, eius religio“ – oder: „wessen Gebiet, dessen Religion“, im Sprachgebrauch auch „wes der Fürst, des der Glaube“ – ist eine Redewendung, die besagt, dass der Herrscher eines Landes berechtigt ist, die Religion für dessen Bewohner vorzugeben, so festgelegt im Augsburger Religionsfrieden 1555. Und es hat Fürstentümer gegeben, in denen solche Wechsel – vom Katholizismus zur Reformation und wieder zurück – im Leben eines einzelnen Untertanen gleich mehrfach vorgekommen sind. Und wenn schon der Fürst berechtigt ist, die Religion aller seiner Untertanen zu bestimmen, so auch der Mann im eigenen Haus (Bild 1).

Die Flucht 1528
Copyright: Lia Hiltz

Der Haustyrann hier war Joachim I. (1484-1535) (Bild 2), Kurfürst von Brandenburg, sein Opfer war Elisabeth (1485-1555), die Tochter des dänischen Königs Johann I. (1455 – 1513); sie hatten 1502 geheiratet, es gab fünf Kinder (zwei Söhne), sie hat es immerhin 26 Jahr mit ihm ausgehalten, bevor sie 1528 vor ihm flüchtete. Sie neigte zum Protestantismus, aber nicht von Hause aus: die Reformation fand ja zu ihrer Lebenszeit und gerade erst statt, Luthers Thesenanschlag war 1517.

Brandenburg in den Jahren 1640 (rot) und 1688 (rot und grün) (Putzgers Historischer Schul-Atlas, 1905); links oben Joachim I. gemalt von Lucas Cranach dem Älteren; links unten: Johann Sigismund, gemalt von einem unbekannten Maler (alle: Wikipedia, gemeinfrei)

Joachim dagegen war ein „glühender“ Katholik, der nicht nur seine Frau tyrannisierte, sondern strammer Gegner der Reformation war und Freund und Profiteur (?) des Ablasshandels. Er holte nach ihrer Flucht den Rat der höchsten Geistlichen des Landes ein, ob er seine Gattin, wenn sie beim protestantischen Glauben verharre, hinrichten oder sich von ihr scheiden lassen dürfe oder welche Maßnahmen er sonst treffen solle. Die Prälaten antworteten, er habe die Pflicht, Elisabeth lebenslang gefangen zu halten. In seinem 1534 verfassten Testament hielt er seine Erben an, die Mark Brandenburg für alle Zeiten dem katholischen Glauben zu erhalten. Er war mit dieser Einstellung  nicht allein: Alle europäischen Nachbarn, vor allem im Süden, hatten zu dieser Zeit die Einstellung Cuius regio, eius religio: Spanien und Italien (man denke nur an die Inquisition im Mittelalter und weit darüber hinaus), Frankreich (das die Hugenotten gnadenlos verfolgte), und das habsburgische Österreich-Ungarn, das Calvinisten und Hussiten aus dem Lande vertrieb – liberaler und protestantisch (anglikanisch, calvinistisch, reformiert) waren oder wurden dagegen die nordeuropäischen Länder (England, die Niederlande, Skandinavien). Erst als der Alte tot war (1535) kehrte Elisabeth aus dem sächsischen Exil zurück nach Berlin.

So dass man sich erstaunt die Frage stellt, wie es kommen konnte, dass nur etwa 100 Jahre später Brandenburg (ab 1685, Edikt von Potsdam) zu einem Hort aller Religionsverfolgten werden konnte, der Hugenotten aus Frankreich, Salzburger Protestanten, und Hussiten aus Böhmen und sogar Juden aus Europas Süden zu sich einlud. Daran war ein Nachfolger Joachims I. schuld, sein Ururenkel Johann Sigismund (1572-1619): das Land Brandenburg war nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1848) und dem Westfälischen Frieden nicht nur fast menschenleer (insbesondere die Neumark), sondern auch zersplittert in fünf Teile (Bild 2), die es zu vereinen galt: Das machte man einerseits durch Heiratspolitik (heirate die Tochter des Nachbarfürsten und warte auf’s Erbe) oder durch Krieg, (wenn’s schneller gehen soll) oder beides (um auf der sicheren Seite zu sein). Inzwischen (1600) war fast ganz Brandenburg protestantisch-lutherisch, getreu dem Prinzip „wes der Fürst, des der Glaube„. Und um nun den Erbfolgestreit um um das kleine Jülich-Kleve (ganz links auf der Karte) zu gewinnen, wechselte der Fürst einfach den Glauben und trat 1613 zum Calvinismus über. Da er diesen erneuten Richtungswechsel aber seinen Preußen im fernen Osten nicht zumuten konnte (oder wollte), gab er einfach das Prinzip auf, und erschien dadurch moderner und liberaler, als er tatsächlich war. Erst sehr viel später haben die anderen Fürstentümer in Europa nachgezogen, aber da war Preußen bereit zur Großmacht geworden.

Literatur: Sebastian Haffner. Preußen ohne Legende. Hamburg, Gruner&Jahr 1979 (1998 Taschenbuch-Ausgabe im btb-Verlag München)

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