Nazi-Kunst im Lützow-Viertel:
Noch mehr nackte Helden

Ein Beitrag von Prof. Paul Enck, www.paul-enck.com
Wir hatten neulich schon über die Skulptur von Richard Scheibe (www.mittendran.de vom 3. März 2023) im Park Am Karlsbad räsoniert, und dann Zeitgenossen Scheibes (Breker, Kolbe) mit weiteren nackten Helden aufgetrieben (www.mittendran.de vom 28. März 2023), jetzt tauchte auch noch Hitlers Lieblingsbildhauer im Lützow-Viertel auf, in der Lützowstraße 60a: Josef Thorak (1889-1952). Es gibt ein − verwackeltes − Foto des Bildhauers im Gespräch mit Hitler und Göring im Bildarchiv der Bayerischen Staatsbibliothek – zu schlecht und zu teuer, um es hier abzudrucken, aber man kann es sich ansehen, wenn man den Link in der Anmerkung (1) kopiert. Das Bild zeigt im Hintergrund Vorarbeiten zur Skulptur „Die Familie“ im Atelier des Künstlers. Deren monumentale Version und eine weitere Figurengruppe („Kameradschaft“) zierten dann 1937 auf der Weltausstellung in Paris den Deutschen Pavillon (Bild), vor dem sich Herr und Frau Biedermann gern fotografieren ließen.

Bild 1: Die Figurengruppen „Familie“ (rechts) und „Kameradschaft“ von Josef Thorak vor dem Deutschen Pavillon der EXPO Weltausstellung Paris 1937 (Quelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei)

Aber wie kam der Bildhauer überhaupt in die Lützowstraße? Gemäß einer ausführlichen Biografie (2) studierte er von 1911 bis 1915 in Wien und kam dann nach Berlin. Von 1925 an wohnte er in Bad Saarow, wo Max Schmeling sein Nachbar war, der ihm Modell saß für eine Skulptur „Der Boxer“, die 1936 auf dem Reichssportfeld in Berlin anlässlich der Olympiade enthüllt wurde. Seine erste Frau Hertha Kroll war unter tragisch-fragwürdigen Umständen im Juli 1928 verstorben, und er war in zweiter Ehe seit 1929 mit einer Jüdin, Hilde Lubowski, verheiratet. Von der ließ er sich − vorauseilender Gehorsam nennt man das − 1933 scheiden, statt mit ihr in die Türkei auszureisen, wo er einen Großauftrag hatte – Freunde hatten ihm das empfohlen.
Sie wanderte mit dem gemeinsamen Sohn aus und starb 1983 in England. Er wird erst spät (1942) NSDAP-Mitglied, aber er reklamierte beim Beitritt, dass er ja schon 1933 habe Mitglied werden wollen, die Beitrittsunterlagen seien aber verloren gegangen. „Dem Gerücht nach will ihm der Führer höchst persönlich seinen Mitgliedsausweis aushändigen, daraus wird jedoch nichts. Dennoch erhält er sein Parteibuch rückdatiert auf 1933 und mit einer niedrigen Mitgliedsnummer“ (3): Nr. 1.446.035.
Nach seiner Scheidung 1933 zieht er in das Gartenhaus in der Lützowstraße 60a (2). Und auch Jahre zuvor war er schon im Kiez ansässig: 1922 (allerdings auch nur in diesem Jahr, laut Adressbuch von Berlin) arbeitete er im früheren Atelier des Professor Fritz Schaper (1851-1919) in der Buchenstraße 4, einer Nebenstraße der Derfflingerstraße, die es heute nicht mehr gibt, da, wo heute das französische Gymnasium ist (s. mittendran vom 16. August 2021). Ab 1933 jedenfalls war er in der Lützowstraße 60a registriert, vermutlich hatte er dort bereits 1931/2 das Atelier (2). Im Jahr 1938 zieht er nach München, 1939 bezieht er ein von Albert Speer entworfenen Nationalatelier in Baldham bei München. Die Dissertation von Neumann (2) zeigt 13 Fotos des Bildhauers und der Skulpturen, die in der Lützowstraße entstanden sind, darunter eben jene Helden, aber auch ein überlebensgroßer Kopf des von ihm verehrten Führers, der ihn am 19. Februar 1937 in seinem Atelier besuchte — der Kopf (die Skulptur!) wurde erst 2015 in Danzig wiedergefunden. Neben nackten Helden hat er auch Anderes geschaffen, die zwei „Schreitenden Pferde“ zum Beispiel, die er für den Garten von Hitlers neuer Reichskanzlei entworfen hatte, auch die überlebensgroß. 1945 verschwanden sie auf merkwürdige Weise und tauchten erst 1989 in Eberswalde am Sportplatz der sowjetischen Kaserne wieder auf – um gleich wieder zu verschwinden. 2015 fand man sie erneut in Bad Dürkheim (Pfalz) – dann hielt der Staat die Hand drauf. Jetzt sind sie in der Zitadelle Spandau neben all den anderen Skulpturen, die aus der Zeit gefallen sind.

Literatur
1. https://bildarchiv.bsb-muenchen.de/metaopac/search?id=bildarchiv36524&View=bildarchiv
2. Hermann Josef Neumann. Der Bildhauer Josef Thorak (1889-1952). Untersuchungen zu Leben und Werk. Dissertation, TU München 1992
3. Wikipedia-Artikel zu Josef Thorak mit weiteren Quellen: https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Thorak

 

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