Haus am Lützowplatz: letzte Woche der laufenden Ausstellung

„Götz Valien – Lieber Maler“
Ein Resümee
LETZTE WOCHE DER AUSSTELLUNG

NUR NOCH BIS 27. MÄRZ 2022!

Die Ausstellung Götz Valien – Lieber Maler im Haus am Lützowplatz (HaL) nähert sich ihrem Ende. Wir haben uns sehr über die große Resonanz auf das Projekt gefreut. Auf der Ausstellungsseite finden sich die Links zu den vielen Pressebeiträgen.

Es war von Anfang an das Ziel, eine breite Diskussion über den „Fall“ anzuschieben, dessen Geschichte aus unserer Sicht noch nicht auserzählt war. Es hatten sich dazu schon viele Personen geäußert, aber Prof. Dr. Peter Raue war der erste Urheberrechts-Experte, der ihn sich genauer angeschaut hatte und kam in seinem juristischen Gutachten zu dem Schluss, dass in der speziellen Konstellation der Werkgenese Martin Kippenberger nicht der Urheber der Paris Bar-Bilder sein könne; im bewusstten Widerspruch zur gängigen Meinung des Kunsthandels und der Literatur. Kippenberger ist für viele Aspekte seines Werks bekannt, aber insbesondere die Trennung von „Künstler“ und „Maler“ als konzeptionelle Geste ist bei weitem der bekannteste. Der Nachlass des Künstlers hat mit Bekanntwerden des Gutachtens von Prof. Raue ein Gegengutachten in Auftrag gegeben, und die Juristin Dr. Friederike Gräfin von Brühl kam darin erwartungsgemäß zum gegenteiligen Schluss. Nach der Podiumsdiskussion am 16. Februar 2022 hat die „Neue Juristische Wochenschrift“ (NJW) in ihrem jüngsten Schwerpunktheft zum Thema „Literatur, Kunst & Recht“ einige der Argumente gegenübergestellt ohne selbst einen Standpunkt einzunehmen (NJW-aktuell 11/2022 S. 20-21).

Worum geht es? Martin Kippenberger hatte 1991 aus Anlass seiner Nichteinladung zu der von Christos Joachimides kuratierten Schau „Metropolis“ im Martin-Gropius-Bau in der „Paris Bar“ eine Ausstellung mit Werken aus seiner eigenen Sammlung installiert. Etwa ein Jahr später wurde diese Ausstellung abgehängt und Kippenberger war auf die Idee gekommen, ein bereits publiziertes Foto der Hängung (Martin Kippenberger – 10 years after, 1991, S. 22) der auf Kinoplakate spezialisierten Firma „Werner Werbung“ zu übergeben, die er bereits ein gutes Jahrzehnt zuvor mit der Herstellung seiner zwölfteiligen Serie „Lieber Maler, male mir“ (1980-81) beauftragt hatte. Götz Valien, ein erst seit kurzem für Werner Werbung freiberuflich tätiger Künstler nahm den Auftrag an, aber nicht direkt von Martin Kippenberger, sondern von dem Firmeninhaber, der Valien auch im Unklaren darüber ließ, wer der Auftraggeber war. Die fotografische Vorlage erwies sich für die Größe der Leinwand (211 x 381 cm) als zu gering aufgelöst und Valien fertigte daraufhin selbst eine Reihe von Detailaufnahmen an und setzte sich dann ans Werk. Während des Schaffensprozesses wurde Valien in keiner Weise von Kippenberger angeleitet. Die beiden Männer hatten keinen persönlichen Kontakt. Alle gestalterischen Fragen hat Valien eigenständig gelöst und das Werk auch in einem ihm eigenen Stil angefertigt. Es ist, verglichen mit einer Plakatmalerei, die die Formen in hohem Maße abstrahiert und auf Fernwirkung angelegt ist, von geradezu feinmalerischer Präzision und verlangte einen immensen Arbeitsaufwand.

Die Arbeit, für die Valien 1.000,- DM als Vergütung erhielt, damals etwa das Dreifache als für seine kunstgewerblichen Kinoplakate, wurde im Sommer 1992 fertiggestellt und dann nach Auslieferung von Kippenberger an der Wand im hinteren Speiseraum des Restaurants gehängt, im Übrigen ohne sie durch eine eigene Signatur zu autorisieren. Dort hing sie über den Tod von Kippenberger hinaus bis 2004, bis der Inhaber der „Paris Bar“, Michel Würthle, sie über einen namhaften Berliner Galeristen an den Sammler Charles Saatchi verkaufte. Der stellte das Werk zweimal aus (London 2005 und Leeds 2006) und gab es dann an das Auktionshaus Christie’s. Es wurde dann im Herbst 2009 in London als eigenhändiges Werk von Martin Kippenberger für umgerechnet etwa 2,5 Millionen Euro verkauft. In dem Katalog kam mit keinem einzigen Wort zu Sprache, dass das Werk von einem anderen Künstler ausgeführt wurde; Michel Würthle betonte sogar in dem im Auktionskatalog publizierten Interview, dass Kippenberger das Bild selbst gemalt hätte („he painted it“). Ein Verweis auf die frühere Werkserie „Lieber Maler, male mir“ wurde an dieser Stelle auch nicht gezogen. Der Hauptaugenmerk lag auf dem Verhältnis von Kippenberger zur „Paris Bar“ und zu Michel Würthle und dem durch dieses Bild erneuerte Bewirtungskontrakt. Als „Restaurantbild“ wurde es mittels eines Bildzitats auf die Stufe von Eduard Manets Un bar aux Folies Bergère (1881-82) gehoben.

Götz Valien wurde erst durch eine ganzseitige Anzeige in der Kunstherbst-Beilage der „Monopol“ auf die Auktion aufmerksam und reklamierte über einen Artikel im Nachrichtenmagazin Der Spiegel erstmals die (Mit)Urheberschaft an diesem Bild. Nachdem ihm diese vor allem von Gisela Capitain als Vertreterin des Nachlasses von Martin Kippenberger öffentlich abgesprochen wurde („Würde Götz Valien die Bilder von damals heute noch einmal malen, so wären das sogar Fälschungen, mindestens aber Plagiate. Denn geistiges Eigentum ist genauso geschützt wie materielles.“ Berliner Morgenpost, 28.10.2009), ist wiederum Götz Valien auf die Idee gekommen, das Bild ein weiteres Mal in einer „korrigierten Version“ im eigenen Auftrag hervorzubringen bzw. zu vollenden. Diese Version stand im Zentrum der Ausstellung im Haus am Lützowplatz.

Die Entscheidung des Nachlasses von Martin  Kippenberger, gegen die Veröffentlichung des Bildes im Rahmen der Ausstellung nicht gerichtlich vorzugehen, ist nachrangig gegenüber der Frage, ob Valien dieses Werk überhaupt ausführen „durfte“. Und hier gelangt man wieder an den Ursprung der Geschichte. Hat Valien eine Kopie eines eigenen Werks geschaffen? Was natürlich erlaubt wäre, genauso wie „Re-Enactments“ von Werken, die 70 Jahre nach dem Tod des jeweiligen Urhebers gemeinfrei geworden sind, wie beispielsweise  Valiens Version von Botticellis „Geburt der Venus“ in der Ausstellung. Oder hat Valien ein geschütztes Werk ohne Zustimmung des Urhebers bzw. seiner Erben vervielfältigt? Der Fälschungsvorwurf ist nicht haltbar, da Valien das Werk unter eigenem Namen veröffentlicht hat.

Die von diesem „Fall“ aufgeworfenen Fragen wurden in vielen Pressebeiträgen verhandelt und in vielen, vielen persönlichen Gesprächen vor Ort in der Ausstellung vertieft. Für den zukünftigen Diskurs seien hier noch einmal einige  wichtige Standpunkte zusammengefasst bzw. einige gängige Missverständnisse ausgeräumt.

Auftragskunst
Immer wieder wurde eingewandt, dass das Bild ja ohne den Auftrag von Martin Kippenberger nicht entstanden sei und dass Valien deshalb keine Urheberschaft daran beanspruchen könne. Nun ist es tatsächlich so, dass sehr viele Werke in der Geschichte der Kunst im Rahmen eines Auftragsverhältnisses hervorgebracht wurden, etwas so gut wie alle Werke in Kirchen und größtenteils alle Porträts. Der Auftraggeber wird jedoch durch die Auftragsvergabe selbst nicht automatisch zum Urheber eines Werks. Falls beispielsweise einem Porträtmaler ein Porträtfoto als Vorlage für eine Ölgemälde übergeben wird, so ist weder der oder die Abgebildete, noch der Auftraggeber der Urheber des Ölgemäldes, sondern der Maler, auch wenn er sich genau an die Vorlage gehalten hat.

Das Urheberrecht schützt keine blossen Ideen, sondern im schöpferischen Prozess ausgeführte Werke. Der Auftraggeber kann nur dann als Urheber oder Miturheber gelten, wenn er im Entstehungsprozess eine persönliche geistige Schöpfung geleistet hat, die über die bloße Ideen- oder Anregungsgebung hinausgeht. Es geht bei der Frage der Urheberschaft also nicht um die Tatsache der Auftragsvergabe, sondern um deren Umstände. Wie weit hat Kippenberger durch die Auswahl des Fotos und die Weiterführung des Konzept von „Lieber Maler, male mir“ auf das Werk schöpferisch Einfluss gehabt? Und genau diese Frage ist immer noch strittig. Seit dem Gutachten von Peter Raue ist es eben nicht mehr „zweifelsfrei“, wie mancherorts zu lesen war, dass Kippenberger als alleiniger Schöpfer dieser Werke zu gelten habe. Zumindest auf juristischer Ebene. Die Einschätzung und der Konsens des Kunstmarktes ist wieder eine andere Sache.

Gehilfe/Assistent/Handwerker
Götz Valien wurde von Kippenberger selbst und später vom Nachlass Martin Kippenberger nur als ausführender Gehilfe betrachtet, der in einem rein handwerklichen Prozess das Bild hervorgebracht habe. Die Fotovorlage wurde in diesem Zusammenhang beispielsweise mit dem Gipsoriginal eines Bildhauers verglichen, das von einem Bronzegießer abgeformt werde. Die fertige Bronzeplastik entspräche dem von Valien in „Kinoplakattechnik“ ausgeführten Gemälde. Die „Handwerksthese“ beruht also darauf, dass sich Valien der Vorlage so weit unterworfen hätte, dass sein Werk nicht die zum urheberrechtlichen Schutz notwendige „Schöpfungshöhe“ erreicht hätte. Er hätte als reiner Kopist zu gelten, und dazu betonten bei der Podiumsdiskussion sowohl Hubertus Butin als auch Gräfin von Brühl den Übereinstimmungsgrad der Vorlage mit dem ausgeführten Werk. Jegliche Abweichungen wären nicht intentional gewesen, sondern  durch den handwerklichen Prozess begründet. So wurden gemäß dieser Logik die perspektivische Streckung an den Rändern des gemalten Bildes auf die Optik eines  Episkops zurückgeführt, das Valien verwendet hätte. Tatsächlich kennen weder Herr Butin noch Gräfin von Brühl das konkrete Instrument, noch ist die Episkop-Projektion das alleinige Hilfsmittel bei der Bilderzeugung gewesen. Ein derartiger Bildraum entsteht in einem sehr komplexen Prozess, über den Götz Valien einen umfangreichen Bericht verfasst hat, der hier abrufbar ist:
https://www.hal-berlin.de/wp-content/uploads/Go%CC%88tz-Valien_Lieber-Maler.pdf

Möglicherweise aufgrund dieser „Handwerksthese“ beharrt der Nachlass Martin Kippenberger auch weiterhin auf die Datierung des Bildes auf das Jahr 1991, obwohl es unwiderlegbare Beweise dafür gibt, dass es erst im Sommer 1992 entstanden ist (auf den Werkstattbildern lehnt es an einem Kinoplakat, dass nicht vor April 1992 gemalt wurde). 1991 ist hingegen das Jahr, als Kippenberger die Ausstellung in der „Paris Bar“ installierte und der Fotograf Lepkowski diese Hängung dokumentierte. In dem 2016 veröffentlichten Werkverzeichnis der Gemälde Martin Kippenbergers von 1987 bis 1992 (Bd. III, 555 Seiten. In deutscher und englischer Sprache. König, Walther. ISBN 978-3-86335-636-1. Herausgegeben von: Gisela Capitain, Lisa Franzen und Regina Fiorito, S. 275 ff.) bleibt Götz Valien wider besseren Wissens gänzlich unerwähnt. Der ausführende „Auftragsmaler“ ist an dieser Stelle namenlos. Lediglich der Plakatmaler „Meister Werner“ wird mit Verweis auf die Serie „Lieber Maler, male mir“ hervorgehoben.

Ein Assistent, etwa im Kontext eines arbeitsteiligen Atelierbetriebs, besitzt selbstverständlich keinen eigenen urheberrechtlichen Schutz, solange seine Arbeit dem gestalterischen Willen des Schöpfers untergeordnet ist. Dies wird insbesondere dadurch erfüllt, indem er gestalterische Anweisungen vom „Meister“ erhält oder dessen Stil nachahmt. Weder das eine, noch das andere ist im vorliegenden Fall geschehen. Es ist lediglich ein Foto abgegeben worden und die Größe der Leinwand vorher bestimmt worden. Es wurden vor allem keine Angaben zur Detailgenauigkeit des Bildraums gemacht. Valien hätte das Bild auf ganz verschiedene Weise malen können. Er hätte die Farbpalette ganz anders wählen können, er hätte die Bilder an der Wand auch nur kursorisch andeuten können. Tatsächlich hat er auch viele Details gegenüber der Vorlage verändert. Und genau diesen von der Fotografie als „Formvorlgage“ nicht begrenzten Gestaltungsspielraum unterscheidet den malerischen Hervorbringungsprozess von dem beispielsweise einer Bronzeplastik. Ein Gießer kann im Abformungs- und Gussverfahren gar nicht derartig von der Vorlage abweichen. Und wenn er es täte, würde er möglicherweise schöpferisch wirken.

Würde man der eigenständigen und vollständigen Erzeugung eines acht Quadratmeter großen hyperrealistischen Gemäldes deswegen die Schöpfungshöhe absprechen, weil es ein Foto sehr genau in eine malerische Wirklichkeit überführt, müsste man auch ganzen künstlerischen Strömungen, wie etwa dem amerikanischen Fotorealismus, den Kunstcharakter aberkennen. Man mag sich eine Werbeplane in der Größe des Gemäldes vorstellen, die mithilfe einer digitalisierten Fotovorlage erzeugt wurde, um die Unterschiede zu dem von Götz Valien geschaffenen Werk sichtbar werden zu lassen. Götz Valien ist keine „Maschine“ (Gräfin von Brühl), sondern ein Künstler, der diesem Bild etwas „eingehaucht“ hat, was möglicherweise auch letztlich den hohen Auktionserlös begründet hat. Ein schlecht gemaltes Bild hätte der anhaltenden Rezeption seit 1992 aus unserer Sicht nicht standgehalten. Die mehr als zwei Monate Ausstellungsdauer haben aus der Perspektive des Publikums jedenfalls genau das bestätigt.

Über den „Fall“ ist noch kein richterliches Urteil gefällt worden. Unseres Wissen streben beide Parteien bislang auch kein Verfahren an. Aber vielleicht wird sich ja in naher Zukunft eine Lösung auf anderer Ebene anbieten.

Und falls es nicht bekannt sein sollte, „Lieber Maler, male mir“ ist der Titel eines Songs von Gus Backus, der im Jahr 1968 für den Deutschen Schlagerwettbewerb komponiert wurde.

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