Erinnerungsspaziergang in der Genthiner Straße

Nach der Kurfürstenstraße im vergangenen Jahr war es in diesem Jahr die Genthiner Straße, in der die SPD-Tiergarten, namentlich Adda und Bergis Schmidt-Ehry, einen Gedenk-Spaziergang organisierte anläßlich des Jahrestages der Befreiung – im nächsten Jahr darf man dann getrost von einer Tradition sprechen. Da es ein Spaziergang zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus im Lützow-Viertel war, soll hier darüber berichtet werden. Dreiundzwanzig Personen, jung wie alt, nahmen daran teil, und es wurden acht Stationen angelaufen, an denen an die Menschen erinnert wurde, die dort gelebt und gearbeitet hatten. Dies waren im einzelnen

– Pfarrer Adolph Kurz von der Bekennenden Kirche an der Zwölf-Apostel-Kirche;

– Henriette Fischer und ihre Töchter Helene und Käthe in der Gentiner Straße 46;

– Mathilde Wurm sowie Gertrud und Friedrich Bieber in der Genthiner Straße 45;

– Vier Richter am Arbeitsgericht Magdeburger Platz 1: Kurt Kronheim, Martin Matzdorf, Ernst Ruben und Berthold Auerbach;

– Henriette und Ernst Rosenthal und ihre Töchter Emilie und Käte, Genthiner Str. 28;

– Ilse und Franz Ledermann, ihre Töchter Barbara und Suzanne, und Ilses Mutter Ellen Citroen in der Genthiner Straße 14.

– Mildred und Arvid Harnack in der Genthiner Straße 14.

– Rudolf Olden in der Genthiner Straße 8.

Dies sind nur 23 der mehr als 66 Namen jüdischer Bewohner der Straße, die man in der Datenbank zur Volkszählung im Mai 1939 unter der Adresse Genthiner Straße finden kann; zu diesem Zeitpunkt waren aber schon viele außer Landes geflohen, wie beispielsweise die Familie Ledermann, oder hatten unter dem Terror der Nationalsozialisten den Suizid bevorzugt. Für die meisten ist ihr weiteres Schicksal unbekannt.

Der Anteil der jüdischen Bevölkerung Berlins betrug vor dem Terror 5%, was in etwa 200.000 erwachsenen Personen entsprach, und der Anteil an den ungefähr 17.000 Bewohnern des Lützowviertels im Jahr 1930 waren dem entsprechend etwa 1000 jüdische Personen. Erst wenn für alle Opfer Stolpersteine gelegt wurden, ist vielleicht kein Gedenk-Spaziergang mehr nötig …

Paul Enck

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