Die Ultrazell GmbH

ein Beitrag von Bethan Griffiths zu:Jüdische Gewerbebetriebe rund um die Potsdamer Straße

Nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 1929 wurde der Kaufmann und ausgezeichnete Kriegsveteran Curt Joseph Inhaber des Drogeriewarenunternehmens Kopp & Joseph in der Potsdamer Str. 122.[1] Um die Ecke – in der Lützowstr. 106 – fand die Fabrikation statt. Kopp & Joseph war sogar Hauseigentümer und Curt Joseph war dort gemeldet.[2] Kurz danach, im November 1932, gründete Curt Joseph eine weitere Firma – Ultrazell GmbH – die sich später im gleichen Gebäude befand.[3]

Zuerst lag die Geschäftsstelle in der Kommandantenstr. 10/11. Das Unternehmen befasste sich mit dem Nutzen von ultravioletten Strahlen mit besonderem Fokus auf die vorteilhaften Konservierungseffekte dieser Technologie für Lebensmittelverpackungen.[4] In einer Patentschrift vom 13. November 1936 wurde die schon im April 1931 patentierte Erfindung genauer beschrieben: “Die Erfindung hat im Gegensatz zu der bisherigen Auffassung erkannt, daß bei Lebensmitteln gerade durch Ausschaltung der Wirkung der ultravioletten Strahlen des Lichtes eine längere Haltbarkeit ermöglicht wird […].“[5] Die Firma wurde mit 17,000 RM [Reichsmark] von Joseph und 3,000 RM von Rechtsanwalt Max Jaffe gegründet. Geschäftsführer der Gesellschaft war jedoch der Rechtsanwalt (und vermutlich Kollege von Jaffe) Bernhard Goldschmidt.[6]

Unterschrift von Bernhard Goldschmidt mit Unternehmensstempel, 1937, LAB A Rep 342-02, Nr. 58812.(mit freundlicher Genehmigung des Landesarchivs Berlin)

Goldschmidt wurde im Jahr 1901 in Hannover geboren und wohnte im Jahr 1936 in der Bülowstr. 56. Der Geschäftsführer bezahlte in diesem Jahr 1,000 RM als Stammeinlage an Jaffe – der schon zu diesem Zeitpunkt nach Palästina emigriert war – und wurde dadurch Gesellschafter. Neben ihm waren die Gesellschafter Max und Kurt Salomonsohn sowie Alexander Rosenberg, der in die Firma im Jahr 1934 einstieg und mindestens seit 1925 in der Firmenadresse in der Kommandantenstraße angemeldet war.[7]

Durch seine Stammeinlage von 10,000 RM wurde Rosenberg zum größten Teilhaber des Unternehmens. Das Schicksal von den Solomonsohns und von Rosenberg ist jedoch noch unbekannt. Im Jahr 1937 zog die Firma auf Curt Josephs Grundstück in der Lützowstr. 106 um, möglicherweise weil das vorherige Grundstück von der Reichsdruckerei übernommen wurde.[8] Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum Rosenberg seinen Wohnsitz im Jahr 1936 von der Kommandantenstr. 10/11 in die Knesebeckstr. 56/57 wechselte. Es kann davon ausgegangen werden, dass das Unternehmen der antisemitischen Gewalt des Novemberpogroms nicht entkommen konnte, denn Curt Josephs anderes Geschäft, Kopp & Joseph, wurde von einem Mob angegriffen, der die Geschäftsräume geplündert und zerstört hat.[9] Irgendwann vor November 1939 zog die Firma noch einmal um – dieses Mal um die Ecke in die Körnerstr. 5.[10]  Am 15.12.1939 schrieb die Industrie- und Handelskammer zu Berlin an das Amtsgericht, dass der Betrieb eingestellt und Geschäftsführer Bernhard Goldschmidt im Ausland sei.[11] Das war nicht korrekt, denn Goldschmidt war zu seinem Leidwesen immer noch in Berlin.

Am 1. März 1940 wurde die Ultrazell GmbH im Handelsregister gelöscht. Jedoch am 17. Oktober desselben Jahres schrieb der Rechtsanwalt für die Firma Hoffmanns Stärkefabriken A.G.:

„Meines Wissens ist ein Geschäftslokal der GmbH tatsächlich nicht mehr vorhanden. Mir ist jedoch bekannt, dass der Geschäftsführer der Ultrazell GmbH, Herr Bernhard Israel Goldschmidt in Berlin W.50, Schaperstrasse 31, bei Wreschner, wohnt. Dort muss also auch der jetzige Sitz der GmbH sein.“[12]

Dazu schrieb der Rechtsanwalt, dass am 27. November 1939 ein Vertrag zwischen Ultrazell und Hoffmann geschlossen worden war. Mit diesem Vertrag wurden die Patente zum „Stärkepräparat“ in Deutschland sowie auch in Frankreich, Großbritannien, Belgien, Italien, Rumänien und Ungarn auf die Hoffmanns Stärkefabriken AG übertragen. Denn Ultrazell produzierte nicht nur Lebensmittelbewahrende Verpackungen, sondern auch Stärkepräparate für die Aufhellung von Leinen.[13]

Darüber hinaus schrieb Goldschmidt an das Amtsgericht am 25. Oktober 1940, um den falschen Löschungsvermerk vom 1. März zu korrigieren. Dies geschah am 31. Oktober. In gleichem Brief schreibt Goldschmidt, dass die Firma nicht vermögenslos sei und dass der Sitz der Firma jetzt in der Schaperstrasse 31, bei Wreschner sei.

Ungeachtet dessen wurde die Firma am 7. November 1941 gelöscht.

Der Brief, der wahrscheinlich diese Mitteilung enthielt, kam am 9. November 1941 in der Schaperstr. 31 an, aber Bernhard Goldschmidt war bereits drei Wochen zuvor deportiert worden. Er und seine jüdische Hauptmieterin Rosa Wreschner waren unter den allerersten Jüdinnen und Juden, die am 18.10.1941 aus Berlin deportiert wurden. Zuerst wurden sie in das Ghetto Lodz und anschließend, am 8.5.1942, in das Vernichtungslager Chelmno verschleppt. Dort wurden sie ermordet.[14]

Nicht zugestellter Brief vom Amtsgericht an Bernhard Goldschmidt, eingegangen am 9.11.1941, LAB A Rep 342-02, Nr. 58812 (mit freundlicher Genehmigung des Landesarchivs Berlin)

Dem Unternehmensgründer Curt Joseph gelang es zu entkommen. Während seine Geschäftsräume im Novemberpogrom zerstört wurden, war Curt unter den 30.000 jüdischen Männer, die in Konzentrationslager verschleppt und dort misshandelt wurden. Am 28. November wurde er aus Sachsenhausen entlassen und floh kurz danach durch die Niederlande nach Großbritannien.[15] Sein Plan, seine Familie nachzuholen, „machte der Krieg unmöglich.“[16] Seine Ehefrau Martha, sein Sohn Heinz und seine Tochter Anita wurden deportiert und ermordet. Nachdem er seine gesamte Familie und seine Geschäfte verloren hatte, sah sich Joseph nach dem Krieg mit finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert, als er sich bei den deutschen Entschädigungsstellen um eine Rückerstattung bemühte. So schrieb er im Juni 1955 an das Entschädigungsamt Berlin, das weniger als 20 Minuten Fußweg von seiner früheren Geschäftsstelle entfernt war:

„Mit grossem Befremden und tiefen Bedauern habe ich aus Ihrer Mitteilung vom 16. Mai 1955 ersehen, dass Sie meinen Vorschussantrag zurueckweisen. Wenn Sie schon Ihrer Auffassung nach glauben, dass ich zur Rueckzahlung der infrage kommenden Judenabgabe nicht berchtig [sic] sei, eine Auffassung, die ich nicht teile und hiermit förmlich Widerspruch erhebe, so haette ich aus verschiedenen Gruenden zumindest erwartet, dass Sie mir einen Vorschuss auf meinen Gesamtantrag 15.2.1952 bewilligt haetten. Meine Frau benötigt dringend die Kur in Wildbad, die ich nicht weiter verschieben konnte und bin durch die bisher nicht erfogte [sic] Vorschusszahlung in Schwierigkeiten geraten. […] Meine fruehere Ehefrau Martha Joseph ist Ende November 1942 auf einem Fluchtversuch nach Daenemark von der Gestapo erfasst worden und verschollen. Als Todestag ist ein Zeitpunkt anzunehmen, der sehr kurz nach der Verhaftung liegt. Somit wurden meine Kinder Heinz Joseph und Anita Joseph die Erben der Mutter, Mein Sohn Heinz Joseph wurde am 29.1.1943 deportiert und ist umgekommen. Bezueglich des Todestages gilt das vorhergesagte. Seine Schwester Anita Joseph wurde demzufolge seine Erbin, sie wurde am 12.3.1943 deportiert und ist umgekommen. Bezueglich des Todestages verweise ich auf das vorher Gesagte. Somit wurde ich, bedauerlicher Weise der Erbe meiner Tochter und mir steht der Rueckanspruch zu. […] Mir muss es darauf ankommen, fuer meine Frau das Geld zu bekommen. Nach all dem Erlebten erwarte ich Ihre baldige Nachricht, dass Ihre Vorschriften es Ihnen möglich gemacht haben, die Vorschusszahlung an mich anzuordnen.“[17]

Mit diesem Brief macht Curt Joseph deutlich, was es bedeutete, einer der ‚Glücklichen‘ zu sein, der den Holocaust überlebt hatten: der Erbe seiner Kinder zu sein, sich in finanziellen Schwierigkeiten zu finden und in einem fremden Land gegen eine Nachkriegsbürokratie zu kämpfen, um „Wiedergutmachung“ zu bekommen, für etwas was nie wiedergutgemacht werden konnte.

Quellen:

[1] Christoph Kreuzmüller, Ausverkauf. Die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit in Berlin 1930-1945, (Metropol, 2013), S. 343.

[2] BAB [Berliner Adressebuch], 1930, Teil IV, S. 630, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:kobv:109-1-3955025, (28.10.22).

[3] DBJG [Datenbank jüdischer Gewerbebetriebe 1930-1945]

[4] Handelsregistereintragung, 3.10.1939, LAB A Rep. 342-02, Nr. 58812.

[5] Dpma [Deutsches Patent und Markenamt], Patentschrift Nr. 638319, ‚Utlrazell GmbH in Berlin. Verpackungsmaterial für Lebensmittel‘, 22.10.1936, https://www.dpma.de/index.html, (27.10.22).

[6] Im Gesellschaftsvertrag sind Rechtsanwalte Max Jaffe und Bernhard Goldschmidt beide in der Friedrichstr. 205 aufgelistet, LAB A Rep. 342-02, Nr. 58812, S. 3-4.

[7] AFB [Amtliches Fernsprechbuch], 1925, S. 1094.

[8] BAB, 1937, Teil IV, S. 423, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:kobv:109-1-2207597, (27.10.22).

[9] Kreutzmüller, Ausverkauf, S. 346.

[10] Vgl. DBJG.

[11] Brief von IHK [Industrie- und Handelskammer] an das Amtsgericht Berlin, 15.12.1939, LAB, S. 5.

[12] Brief von Ernst Wolff an das Amtsgericht Berlin, 17.10.1940, LAB, S. 10.

[13] Dpma, Patent Specification 472,473, ‘Starch Preparation’, 17.9.1937, https://www.dpma.de/index.html, (27.10.22).

[14] Tracing the Past e.V., Mapping the Lives – A Central Memorial for the Persecuted in Europe 1933-1945, https://www.mappingthelives.org/, (27.10.22).

[15] MpTL [Mapping the Lives Datenbank]

[16] Brief von Curt Joseph an den Berliner Innensenator Joachim Lipschitz, 19.4.1957, EAB, 62928 in Kreutzmüller, Ausverkauf, S. 346.

[17] Brief von Curt Joseph an das Amtsgericht Berlin, 4.6.1955, EAB, 62928.

Die Arbeit von Bethan Griffiths wurde im Rahmen der Initiative Jüdisches Leben und Widerstand gefördert durch:

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