Spaziergang in die Vergangenheit (13): Eine Solequelle in der Lützowstraße 74

Nur wenige Meter von der Badeanstalt in der Lützowstraße 89-90, in der 1886 die ersten Deutschen Meisterschaften im Wasserspringen (Kunstspringen) stattfanden (mittendran vom 6. März 2024), fand sich ein weiteres Bad, allerdings ein eher medizinisches Bad, das wir heute besuchen.

Auf der Suche nach den Bauakten des Blüthner-Konzertsaals in der Lützowstraße (mittendran vom 22. Juli 2023 und im gedruckten Heft Nr. 45, Frühjahr 2024) wurden wir in der Bauakte der Lützowstraße 74 (1) fündig: Dort befand sich ab 1888 eine Zweigstelle des berühmten Admiralsgarten-Bades in der Friedrichstraße 101-102, ein Badehaus, das 1873 gegründet wurde und Teil des Admiralspalastes wurde; nach einem Umbau 1910 war dies das größte Vergnügungszentrum Berlins bis in die 40er Jahre. Das Admiralsgarten-Bad (Bild 1) war 24 Stunden am Tag 7 Tage in der Woche geöffnet und hatte neben einem 14 × 5 m großen Hauptbadebecken mehrere römisch-russische Bäder sowie Herren- und Damenbaderäume und 88 Wannenbäder (Bild 2). Bis zu 1500 Gäste kamen hier an einzelnen Tagen, z.B. im Mai 1880 (2), Tendenz steigend.

 

Bild 1: Fassade des Admiralsgarten-Bads in der Friedrichstraße 102: um 1911 (Quelle: Zentralblatt der Bauverwaltung, Band 31, 1911: Abb. 11, Seite 429).

 

Bild 2: Herren-Bad (oben) und Damen-Bad des Admiralsgarten-Bades in der Friedrichstraße 102 (Quelle: Zentralblatt der Bauverwaltung, Band 31, 1911: Abb. 12 und 13, Seite 438f).

Die kleine Zweigstelle in der Lützowstraße 74 war keineswegs so opulent ausgestattet wie das Original, aber auch sie basierte auf dem Fund einer Solequelle, einer natürlichen Wasserader mit einem Salzgehalt von mindestens 6 %. Zunächst hatten Geologen 1887 im Auftrag der Admiralsgarten-Bad-Aktiengesellschaft in der Friedrichstraße eine Tiefbohrung nach Sole gemacht und waren bei 750 Fuß (230 m) fündig geworden – so war Berlin zur Bäderstadt („Bad Berlin“) geworden, mit Gutachten des Instituts von Geheimrat Professor Fresenius, Wiesbaden (3). Die daraus resultierende Ausweitung des Angebots des Admiralsgarten-Bads um medizinische Anwendungen ließ frisches Kapital in die Aktiengesellschaft fließen. Im Auftrage der AG bohrten die Geologen daraufhin in ganz Berlin nach Solequellen und wurden im August 1888 fündig in der Lützowstraße 74, in der Reinickendorfer Straße 2a, in der Paulstraße in Moabit sowie an vier weiteren Orten der Stadt, an denen die Aktiengesellschaft Solebad-Anlagen plante, ebenso wie außerhalb der Stadt, beispielsweise in Hirschgarten (zwischen Friedrichshagen und Köpenick). Dann begannen die Unternehmer, im Umkreis von Berlin auch nach Braunkohle zu suchen ….

Ob aus all diesen Bergbau- und Badeanstalt-Projekten etwas geworden ist, entzieht sich unserer Kenntnis, aber im Hinterhaus in der Lützowstraße 74 wurde tatsächlich im gleichen Jahr noch eine Badeanstalt gebaut (Bild 3 und 4), über deren Größe und Betrieb wir leider nicht viel sagen können: Sie war im Sommer wie im Winter geöffnet, hatte auf 90 qm Grundfläche und 3 Etagen insgesamt 10 Badekabinen für medizinische Bäder (Wannen) (Bild 5 und 6), aber kein Schwimmbad, und bereits nach wenigen Wochen musste im Hof ein Wartebereich eingerichtet werden, weil der Wartesaal zu klein war, wie die Zeitungen berichteten (4).

Bild 3: Situationsplan (rot markiert das Grundstück Nr. 74) (aus: (1)).

Bild 4: Grundstücksplan (rot markiert das geplante Badehaus) (aus: (1)).

Bild 5: Fassade des Badehauses in der Lützowstraße (aus (1)).

Bild 6: Grundriss des Badehauses, Erdgeschoß (aus (1)).

Das Bad wurde geschlossen, nachdem das Haus 1923 verkauft worden war, und die Quelle wurde verschlossen. Das Badehaus wurde danach für industrielle Zwecke genutzt: hier stand eine chemische Fabrik zur Herstellung technischer Papiere. Noch viele Jahre später (1935) beklagten sich Nachbarn über Salpeter-Verfärbungen der Wände dort, wo früher Salzwasser (Sole) ausgetreten war. Eine Erkundung bei den Gesundheitsbehörden, ob der Einlass von Sole in die Kanalisation in irgendeiner Weise schädlich sei, hatte diese verneint – das würde man heute wohl anders sehen.

Zwei Badeanstalten also allein in der Lützowstraße zwischen 1860 und 1900, zusätzlich zu den beiden schon bekannten, Am Karlsbad (mittendran vom 11. November 2020) und in der Dennewitzstraße (mittendran vom 25. November 2020). Ein weiteres Bad (Marienbad) befand sich seit 1830 und bis 1862 in der Bendlerstraße 8 (heute: Stauffenbergstraße 37) – aber das ist eben Tiergarten und nicht das Lützow-Viertel, deswegen gibt es dazu auch eine ausführliche Baubeschreibung (5).

Literatur

  1. Landesarchiv Berlin, Bauakte B Rep. 202 Nr. 4369.
  2. Berliner Börsenzeitung vom 19. Mai 1880, Seite 4.
  3. R. Fresenius. Chemische Analyse der Soolquelle im Admiralsgartenbad zu Berlin. Journal für Praktische Chemie, Band 38 (Januar) 1888, Seite 236-240.
  4. Berliner Börsenzeitung vom 18. Mai 1890, Seite 8.
  5. Hartwig Schmidt. Das Tiergartenviertel. Baugeschichte eines Berliner Villenviertels. Teil I: 1790-1870. Gebr. Mann Verlag, Berlin 1981, Seite 124-126.

Paul Enck

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