Straßen im Kiez – die Dennewitzstraße

(ein Beitrag von Prof. Paul Enck)

Die Dennewitzstraße gehört nur halb in den Lützow-Kiez, die südliche Hälfte gehört, wie der Dennewitzplatz, eigentlich zu Schöneberg. Aber was soll´s: ein Kiez hat eh keine städtebauliche feste Grenze und ändert sich laufend, und so wie die Berliner sich 1861 einen Teil von Schöneberg einverleibt hatten (das daraufhin von mehr als 8000 auf 2700 Einwohner schrumpfte, sehr zum Ärger der Schöneberger) machen wir’s hier noch mal, allerdings ohne  finanzielle und administrative Konsequenzen. Diese Okkupation dient nur dem Zweck, den zweiten Teil der Geschichte der Berliner Bäder zu erzählen, nachdem das Chmelicksche Karlsbad (siehe: mittendran.de vom 11.November 2020) seinen Betrieb 1855 eingestellt hatte. Es gab zwar zwischen 1842 und 1862 ein anderes „Carlsbad“ im Lützowkiez, eine „Schwimm- und Badeanstalt für Damen, Lützowstraße 3″, betrieben von E. Wendorff, und von 1876 bis 1900 gab’s das Kaiser-Wilhelm-Bad in der Lützowstraße 89/90, unmittelbar gegenüber; dorthin gehen wir aber ein andermal, jetzt bleiben wir am Dennewitzplatz.

Der sogenannte „Generalszug“, die Benennung der Straßen und Plätze 1862 im Rahmen des Obrecht-Plans nach preußischen Generälen und Schlachten – diese Tradition wurde auch nach dem 1. Weltkrieg und unter den Nationalsozialisten fortgesetzt. (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Generalszug)

Dennewitz klingt nach einem preußischen General, ist aber keiner: Straße und Platz sind benannt nach einer militärischen Schlacht (also doch!), der Schlacht bei Dennewitz: Am 6. September 1813 besiegte die preußische Armee unter General Friedrich Wilhelm von Bülow (der „seine“ Straße direkt nebenan bekam), in der (heutigen) Gemeinde Niedergörsdorf im südlichen Teltow-Fläming-Kreis die französische Armee und hinderte diese daran, wieder (1806 hatten die das erfolgreich getan) nach Berlin einzumarschieren. Und im Zuge der Planung des Ausbaus der Stadt Berlin (Lenné- bzw. Hobrecht-Plan, 1841, 1862) erhielten dann alle erfolgreichen und weniger erfolgreichen Generäle und Schlachten ihre eigenen Straßen, den sogenannten „Generalszug“, auf besonderen Wunsch eines einzelnen Herrn, des preußischen Königs Wilhelm I.

In den Jahren 1830 bis 1850 gab es in Berlin 25 Bäder vom Typ des Chmelickschen Badehauses, weitere sieben Flussbäder und fünf von der Polizei genehmigte Badestellen.

Auszug aus dem Berliner Adressbuch von 1850: Badehäuser und Badeanstalten (Quelle: https://digital.zlb.de/viewer/image/34111722_1850/851/)

Nimmt man die letzteren heraus, habe diese 32 Bäder eine sehr begrenzte Kapazität für die Berliner Gesamtbevölkerung, die in diesem Jahr mehr als 400.000 Zivilpersonen und etwa 20.000 Militärpersonen umfasste. Wenn, wie wir gesehen haben, das Chmelicksche Bad im Jahr 6.000 Gäste hatte, reichen die 32 Bäder, angenommen, sie waren alle etwa von der gleichen Größe mit 10 – 20 Wannen, bei weitem nicht aus, allen Berlinern auch nur einmal im Jahr ein Wannenbad zu erlauben, abgesehen davon, dass sich die Mehrheit dies vermutlich auch nicht leisten konnte (bei Preisen von 4 und mehr Groschen für ein Bad) und deswegen auf genehmigte und ungenehmigte Flussbadestellen ausweichen mussten, wenn sie in den Genuss eines Bades kommen wollten. Die meisten Privathäuser und Wohnungen dürften noch kein fließendes Wasser, geschweige denn Badezimmer gehabt haben, und Wäsche gewaschen wurde in öffentlichen Waschhäusern oder an öffentlichen Waschplätzen.

Dabei war Baden gesund: 1854 legt der Polizei-Oberarzt Dr. Friedrich Jakob Behrend  (1803-1889) seinem obersten Dienstvorgesetzten, dem rührigen, aber umstrittenen Polizeipräsidenten Karl Ludwig Friedrich von Hinckeldey (1805-1856) eine Denkschrift vor, die ein Loblied sang auf „Die öffentlichen Bade- und Waschanstalten, ihr Nutzen und Ertrag“ (1). Behrend musste es wissen: er war nicht nur für die öffentliche Gesundheit zuständig, sondern auch für die Kontrolle der Prostitution (Sittenpolizei), so wie in Preußen die Polizei nicht nur für die Sicherheit sorgte, sondern auch für innenpolitische, stadtplanerische und gesundheitspolitische Aufgaben zuständig war. Behrend schlug vor, öffentliche Badeanstalten nach ausländischem Vorbild wie in London, Liverpool, Birmingham, Paris zu schaffen, insbesondere auch für die unteren Klassen der Bevölkerung. Er zeigt in Zahlen, wie die Nachfrage nach Nutzung der Badeanstalten z.B. in London bei zunächst einer und zuletzt sieben Badeanstalten von 50.000 Badenden (1848) bzw. 10.000 Waschenden (1849) auf 800.000 bzw. 200.000 Nutzern (1852) anstieg. Er rechnete seinem Chef auch die Kosten der Einrichtung solcher Badeanstalten vor, die möglichen Einnahmen aus den geplant niedrigen Eintritts- und Nutzungsgeldern, und skizzierte die notwendige Ausstattung.

Zwei Jahre zuvor hatte Prof. Rudolf Gneist (1816-1895), Jurist und Professor für öffentliches Recht, Mitglied des preußischen Reichstags, des Berliner Abgeordnetenhauses, der Berliner Stadtverordnetenversammlung und Gründungsmitglied des Vereins für Sozialpolitik, im Zentralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen einen Vortrag über dasselbe Thema gehalten (2), der in auffallender Weise ebenfalls mit einer Fülle englischer Daten argumentierte – wer hat da wohl abgeschrieben? Nach Behrends Entwürfen wurde dann 1855 eine erste Badeanstalt mit Schwimmbecken in Berlin errichtet, die Wasch- und Badeanstalt in der Schillingstraße (3). Und eine dieser Badeanstalten neues Typs entstand dann 1901 in der Dennewitzstraße.

Ein Foto des Wohnhauses Dennewitzstrasse 24a (Foto von Steffen Zahn, Berlin aus <https://de.wikipedia.org/wiki/Volksbad_Dennewitzstraße) unter Wikimedia Commons)

Ausschnitt aus der Schadenskarte des Bezirksamt Schöneberg-Tempelhof von 1945 (Quelle: https://www.berlin.de/ba-tempelhof-schoeneberg/politik-und-verwaltung/aemter/stadtentwicklungsamt/vermessung/schadenskarten-330642.php, Karte

Das einzige Haus in der südlichen Dennewitzstraße, dass das Bombardement am Ende des 2.  Weltkriegs überstanden hat, ist die Hausnummer 24a, daher ist nur schwer vorstellbar, wo hier denn eine Badeanstalt gewesen sein könnte.

Die Schadenskarte des Bezirks Schöneberg-Tempelhof von 1945 hilft, auch wenn nicht alle Gebäude, die 1945 noch als „vielleicht wiederherstellbar“ (grün markiert) bezeichnet wurden, am Ende auch wiederhergestellt wurden: das Haus Nr. 24a war das schmalste in der ganzen Straße, nicht mal 13m breit und 42 m tief, und erlaubte den Zugang zum Bad. Im Erdgeschoß war rechts ein Restaurant, links der Durchgang zum rückwärtigen Gelände, in dem das Bad lag. Es war im Osten begrenzt durch die Gleisanlagen des Potsdamer Güterbahnhofs, nach Süden durch die Gleisanlagen der Hochbahn (heute: U2), die das Bahngelände kreuzte und über den vorderen Teil des Bades führt – das schauen wir uns ein andermal an.

Auch wenn die Schwimmhalle mit 22,5 x 8.5 m (1 – 3,2 m Tiefe) nach heutigen Maßstäben eher klein war, im Verhältnis zu den zu diesem Zeitpunkt (1903) fünf anderen „Volksbädern“ in Berlin war das Dennewitzer Volksbad von der üblichen Größe: Es gab 60 Wannenbäder auf zwei Etagen rechts und links des Schwimmbades (auf der einen Seite für die Frauen, auf der anderen die Männer), eine Anzahl von Brausebädern, 36 Umkleidekabinen, 108 Schränke, und die Schwimmhalle, die abwechselnd von Männern und Frauen genutzt wurde. Dem Bad wurde ein besonderer Charme attestiert (Bild 5): Das Wasser im Schwimmbassin erhielt durch die Verwendung eines grünlich-grauen Plattenmaterials zur Bekleidung des Fußbodens und der Wände eine leuchtende meergrüne Farbe. Auch hier zeigte sich die verschiedene Tönung der beiden Fenster wirkungsvoll. Besonders gegen Abend erscheint das Wasser an der lichten Seite der Halle noch leuchtend grün, seine Farbe geht aber dann nach der anderen Seite allmählich in einen dunkelblau-grünen Ton über. Wird in solcher Stimmung das Wasser durch Badende noch bewegt, so ist es von einer eigenartigen Wirkung (4).

Und hat sich dadurch die hygienische Situation in Berlin gegenüber der Zeit 70 Jahre zuvor verbessert? Im Dennewitz-Bad konnten mehr als 1000 Personen pro Tag – stundenweise – baden, und in den fünf Berliner Badeanstalten badeten 1905 im Tagesdurchschnitt etwa 6.000 Gäste; die maximale Zahl wurde am 31. Mai 1903 (Pfingstmontag) mit fast 20.000 Besuchern erreicht, 2/3 Männer und 1/3 Frauen (3). Andererseits lebten in Berlin im Jahr 1905 gut 2 Millionen Menschen; bei 6000 Gästen pro Tag hatten also theoretisch alle Berliner zumindest einmal im Jahr die Chance, sich in einem öffentlichen Bad zu waschen – aber nach 1900 waren auch die Mietskasernen meist mit fließendem Wasser ausgestattet, wenn auch in der Mehrzahl der Fälle wohl noch mit Gemeinschaftstoiletten im Treppenhaus und Waschküchen im Keller (5). Und die Geringschätzung des (sich) Waschens war nicht ausschließlich ein Kennzeichen der kleinen Leute: „Im Berliner Schloß gab es … noch lange Zeit keine Bademöglichkeiten, nicht einmal in den königlichen Privatgemächern. Noch … um 1880 ließ sich Wilhelm I. gelegentlich eine Badewanne  aus einem der vornehmen Hotels Unter den Linden kommen. Sie wurde dann mit heißem Wasser aus der Schloßküche gefüllt …“ (6) – sozialer Fortschritt geht halt langsam im preußischen Obrigkeitsstaat, manchmal sogar für die Obrigkeit.

Bilder des Bades in der Dennewitzstraße, aus: Ludwig Hoffmann 1902 (Quelle: Webseite des Architekturmuseums der Technischen Universität Berlin in der Universitätsbibliothek, https://architekturmuseum.ub.tu-berlin.de/index.php?p=51&SID=16048248459821)

Literatur:

  1. Friedrich J. Behrend. Die öffentlichen Bade- und Waschanstalten, ihr Nutzen und Ertrag. Berlin/Cassel, Brigl und Lobeck 1854
  2. Rudolf von Gneist. Öffentliche Bade- und Waschanstalten. In: Mittheilungen des Centralvereins für das Wohl der arbeitenden Klassen. Heft 15, hrg. am 25. November. Berlin, Trowitzsch & Sohn 1852.
  3. Friedrich Wilhelm Schleyer. Bäder und Badeanstalten. Leipzig, Carl Scholtze (W.Junghans) Verlag für Architektur, 1909
  4. Ludwig Hoffmann: Neubauten der Stadt Berlin, Band 1, Berlin/New York, Bruno Hessling 1902
  5. Johann Friedrich Geist, Klaus Kürvers. Das Berliner Mietshaus 1862-1945. München, Prestel Verlag 1984
  6. Bernt Engelmann. Berlin – Eine Stadt wie keine andere. München, Bertelsmann Verlag 1986 (S. 130).

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