Wer zu spät kommt,
den bestraft das Klima

Für einen lokalen Plan zur Klimaanpassung am Gleisdreieck

(EIN BEITRAG VON MATHIAS BAUER, GLEISDREIECKBLOG)

Pünktlich zu den superheißen Tagen hat die Bundesregierung letzte Woche das Klimaanpassungsgesetz auf den Weg gebracht. Deutlicher konnte nicht demonstriert werden, dass die im Pariser Abkommen angestrebte Begrenzung der Erderwärmung auf durchschnittlich 1,5. Grad kaum noch erreicht werden kann. Trotz bester Kenntnisse über die Ursachen des Klimawandels sind wir offensichtlich bisher unfähig umzusteuern. In wissenschaftlichen Szenarien wird schon ausgelotet, was bei 2 Grad, bei 2,7 Grad, bei 4 Grad Erderwärmung passieren könnte.

Die Erderwärmung hat im Juni 2023 durchschnittlich 1,34 Grad erreicht, sie verteilt sich ungleichmäßig. Über den Landmassen ist sie höher als über den Ozeanen, im globalen Süden höher als im Norden, auf dem Land ist sie niedriger als in den Städten und in dicht bebauten Stadtteilen höher als in Parks.

Was bedeutet das fürs Gleisdreieck?

Das Gleisdreieck und die südlichen daran anschließenden Bahnflächen haben eine zentrale Funktion für das Klima der Berliner Innenstadt. Über die ehemaligen und aktuellen Bahnflächen verläuft die Frischluftschneise, die den Tiergarten mit dem südlichen Stadtrand verbindet. Deutlich wird dies aus der Karte aus dem Jahr 1993, in der Jahresmitteltemperaturen sichtbar gemacht wurden. Rot ist warm, blau ist kalt und gelb liegt dazwischen. Die Karte wurde erstellt im Zusammenhang mit den Bebauungsplänen für Potsdamer und Leipziger Platz. Die Umweltgutachter befürchteten damals, dass um den Tiergarten ein geschlossener Wärmering entstehen und dadurch die Jahresmitteltemperaturen in der Berliner Innenstadt um 1 bis 2 Grad steigen könnten. Als Gegenmaßnahme forderten die Umweltgutachten einen 60 ha großen Park auf dem Gleisdreieck und „keine weiteren geometrische Hindernisse“ in die Belüftungsbahn zu stellen.

Bekommen haben wir statt 60 ha nur 30 ha Park und die Belüftungsbahn soll mit den Hochhäusern der Urbanen Mitte nochmals weiter eingeengt werden. Die beiden mit 90 m höchsten der sieben Hochhäuser sollen genau da stehen, wo der Westpark des Gleisdreiecks nur 60 m breit ist – dazu natürlich 100% Versiegelung des Bodens.

Wäre das Klimaanpassungsgesetz ein paar Jahr früher gekommen, gäbe es die Planungen für die Urbane Mitte mit Sicherheit nicht. Und wenn das Gesetz 2024 in Kraft tritt, soll es erst für Planungen ab 2025 gelten.

Der Spiegel fasst in seiner Ausgabe vom 15.07.2023 kurz zusammen, was drin steht im Gesetz:

Deutschland muss grüner werden!“

und

Städte benötigen weniger Beton, dafür mehr Bäume und Pflanzen, die Schatten spenden. Die Versiegelung des Bodens muss nicht nur gestoppt, sie sollte an vielen Orten auch rückgängig gemacht werden.“

Zentraler Punkt der Gesetzes sind Klimaanpassungskonzepte, die auf Bundes-. Landes- und lokaler Ebene erstellt werden sollen. Auszüge aus dem Gesetzentwurf:

§11,

  1. Ziel von Klimaanpassungskonzepten ist die Entwicklung eines planmäßigen Vorgehens zur Klimaanpassung der jeweiligen Gebietskörperschaft unter Berücksichtigung bestehender Klimaanpassungsprozesse und Klimaanpassungsaktivitäten, das in einen auf die örtlichen Gegebenheiten bezogenen Maßnahmenkatalog zur Umsetzung des Klimaanpassungskonzepts mündet. Der Maßnahmenkatalog sollte möglichst auch Maßnahmen enthalten, mit denen Vorsorge insbesondere in extremen Hitzelagen, bei extremer Dürre und bei Starkregen getroffen werden kann, sowie solche Maßnahmen, die die Eigenvorsorge der Bürgerinnen und Bürger erhöhen.

Könnte das seit Jahrzehnten grün regierte Friedrichshain-Kreuzberg den Vorreiter machen beim Klimaanpassungsgesetz? Ein lokales Klimaanpassungskonzept müsste beginnen mit einem Stop der Planungen für die sieben Hochhäuser der Urbanen Mitte am Gleisdreieck und einem klimaverträglichen Neustart der Planungen.

Stattdessen passiert jedoch etwas anderes.

Als der Bebauungsplan für die Urbane Mitte Süd im Januar 2021 ausgelegt wurde, hieß es in der Begründung zum Bebauungsplan auf Seite 78:

. . . Die mittlere Lufttemperatur innerhalb des Plangebiets steigt von 17°C auf 19-20°C. Mit der geplanten Bebauung ist eine lokale Zunahme der Temperatur um 2-3°C zu beobachten . . .

In zahlreichen Stellungnahmen war damals das Klimagutachten kritisiert worden, u. a. weil es von einem viel größeren Westpark ausging, in dem die neuen Gebäude an der Dennewitz- und Flottwellstraße fehlten. Bei einer korrekten Datenbasis hätten also noch höhere Werte herauskommen müssen.

In der inzwischen überarbeiteten Begründung zum Bebauungsplan, der am 30. August 2023 in die Bezirksverordnetenversammlung eingebracht werden soll, heißt nun im gleichen Absatz unter der Überschrift „Lufttemperatur“:

. . . Mit der geplanten Bebauung ist eine lokale Zunahme der Temperatur um 0,25 bis 1,9°C zu beobachten . . .

Seite 1370 der Abwägung / Seite 88 der Begründung

Zu Begründung für das aktualisierte Gutachten mit den geänderten Werten heißt es in der Abwägung zum Bebauungsplan, dass die neuen Gebäude an der Dennewitz- und Flottwellstraße nun berücksichtigt worden seien. Ebenso seien nun alle sieben Hochhäuser mit betrachtet worden und nicht nur die zwei im südlichen Baufeld.

Kann das stimmen? Mehr Beton, mehr Versiegelung = weniger Temperaturzunahme?

Zuerst veröffentlicht in gleisdreieckblog

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