Urbane Mitte Gleisdreieck:
Gutachten widerlegt Entschädigungsanspruch

Der städtebauliche Rahmenvertrag Gleisdreieck von 2005 bindet den Bezirk nicht bei der Aufstellung des Bebauungsplans Urbane Mitte. Die angeblichen Entschädigungsansprüche gegen das Land oder den Bezirk stehen dem Investor unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Das ist das Ergebnis eines Rechtsgutachtens, das die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e.V. gemeinsam mit den Naturfreunden Berlin e.V. heute im Rahmen einer Pressekonferenz vorstellte. Somit kann die Bezirksverordnetenversammlung frei über den Bebauungsplan entscheiden, ohne exorbitante Entschädigungszahlungen fürchten zu müssen.

Zum Hintergrund:

Sieben Bürohochhäuser mit bis zu 90 m Höhe sollen im Gleisdreieck gebaut werden. Das Vorhaben geht zurück auf einen Vertrag zwischen dem Land Berlin, dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und der VIVICO Real Estate aus dem Jahr 2005. Schon damals waren die Planungen umstritten. Heute sind sie vollkommen aus der Zeit gefallen. Die Eigentümer der Urbane Mitte Besitz S.à.r.l. aber bestehen auf Umsetzung ihrer veralteten Pläne.

Die politische Diskussion um das Projekt wurde jahrelang geprägt durch die Angst vor Schadensersatzforderungen. Sollte das im städtebaulichen Rahmenvertrag Gleisdreieck von 2005 beschriebene Bauvolumen nicht zustande kommen, drohten angeblich Entschädigungszahlungen im dreistelligen Millionenbereich für das Land Berlin bzw. den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. So warnte Baustadtrat Florian Schmidt in einem Interview:

Wer das grundsätzlich in Frage stellt, muss sich mit erheblichen Entschädigungen auseinandersetzen, die vom Land Berlin aufzubringen wären.“ (Tagesspiegel vom 10.2.2021) .

Und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung schrieb in Beantwortung einer kleinen Anfrage am 27.1.2023:

“Auf Grundlage einer pauschalisierten, sehr grob überschlägigen Betrachtung zum heutigen Zeitpunkt könnte sich bezogen auf das Baufeld „Urbane Mitte“ eine Wertdifferenz für die Grundstücke in Höhe von rund 100 Millionen Euro ergeben.”

Die Prüfung der Rechtslage durch Rechtsanwalt Dr. Philipp Schulte kommt nun zu dem klaren Ergebnis, dass der städtebauliche Vertrag von 2005 gegen wesentliche Rechtsprinzipien verstößt. In § 1, Absatz 3 Baugesetzbuch heißt es:

„ . . . Auf die Aufstellung von Bauleitplänen und städtebaulichen Satzungen besteht kein Anspruch; ein Anspruch kann auch nicht durch Vertrag begründet werden . . .

Der Gesetzgeber wollte damit sicherstellen, dass die Parlamentarier frei von vertraglichen Bindungen über Bebauungspläne beraten und entscheiden können. Genau dies würde jedoch durch die Drohung mit Schadensersatz verhindert.

Dazu Rechtsanwalt Dr. Philipp Schulte:

“Der gesamte Aufstellungsvorgang ist von der Vorfestlegung durch den städtebaulichen Rahmenvertrag geprägt. Ein aufgrund dieses Verfahrens beschlossener B-Plan ist offensichtlich abwägungsfehlerhaft und würde durch das Normenkontrollgericht absehbar für unwirksam erklärt werden. Das gegenständliche Aufstellungsverfahren ist gescheitert und muss eingestellt werden.”

Für Matthias Bauer von der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e.V. ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, das Bebauungsplanverfahren zu stoppen und einen Neustart der Planungen einzuleiten:

Wir wünschen uns für die letzte Baufläche am Gleisdreieck öffentliche gemeinwohlorientierte Nutzungen, die Rücksicht nehmen auf die ökologischen Belange und die historische Kulisse respektieren. Die eigentliche „Urbane Mitte“ ist der Park selbst. Denn Urbanität ist das friedliche Zusammentreffen vieler Menschen unterschiedlichster Herkunft und Generationen. Genau das passiert im Gleisdreieck, das in den letzten Jahren zu einer der beliebtesten Parkanlagen Berlins geworden ist.

Für Uwe Hiksch, NaturFreunde Berlin e.V., sind die Planungen für die ‚Urbane Mitte‘ am Gleispark mit einer klimagerechten und nachhaltigen Stadtplanung nicht vereinbar. Hiksch:

„Die NaturFreunde Berlin werden sich aktiv dafür einsetzen, dass diese Planungen noch verhindert werden. Die Drohung der Investoren, dass sie bei einer Verhinderung des Projekts Schadenersatz in Millionenhöhe einfordern würden, sind eine Drohkulisse ohne rechtliche Substanz. Die NaturFreunde erwarten vom Berliner Senat, dass die Planungen für die ‚Urbane Mitte“ gestoppt werden.“

 

Zuerst veröffentlicht in gleisdreieckblog

Redaktion

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