Strassen im Kiez: Am Karlsbad

(ein Beitrag von Prof. Paul Enck)

War hier wirklich mal ein Schwimmbad, fragt sich der Neuankömmling im Kiez, und sicherlich auch der eine oder andere Alteingesessene; wann soll denn das gewesen sein, und etwa da, wo heute der Park ist?

Bad mit Aussicht: Badeschiff auf der Spree in Sichtweite des Schlosses im Jahr 1810 (Karteausschnitt; Quelle: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:109-opus-104035)

Um das Bad in der Stadtgeschichte zu finden, muss man weit zurückgehen: In den ersten Adressbüchern von Berlin (1799, 1801, 1812, ab 1819 jährlich) kann es noch nicht verzeichnet sein, weil die Stadtgrenze Berlins am Landwehrkanal endete, der noch Schafsgraben hieß; die andere Seite gehörte zum Dorf Schöneberg, das allerdings sein Zentrum an der alten Dorfkirche hatte, 3 km vor der Berliner Stadtgrenze entfernt; es hatte 1817 nur 437 Einwohner. Dazwischen war Landwirtschaft, mit einzelnen Häusern entlang der Potsdamer Allee. Ein Bad finden wir erstmals erwähnt im „Adreßkalender für Berlin und Potsdam“ – den gab´s schon länger (seit etwa 1700), und er enthielt Informationen darüber, wer was wo in Berlin machte, wohnte („im Haus der Witwe Musterfrau an der Musterstrasse unweit des Thores nach Muster“) und etwas zu sagen hatte (vom König bis zur königlichen Kammerzofe). Dort findet sich für 1820 das Chmelicksche Bad erwähnt, eines von nur drei „offiziellen“ Bädern in der Stadt: Baden war erst 1802 vom Geheimen Ober-Medizinalrat Welper als der Gesundheit zuträglich erklärt worden (wohlgemerkt: Baden, nicht Waschen oder Schwimmen), der dann selbst das erste Badehaus an der Kurfürstenbrücke auf einer Art Schiff anlegte – Badeaussichten mit Blick auf das Stadtschloss (Bild 1). Ein Berlin-Reiseführer von 1806 listet nur drei Bäder (2), ein Berlin-Buch von 1832 erwähnt das Chmelicksche Bad als eines von schon 14 in der Stadt (3), aber es gab vermutliche viele semi- oder illegale Flussbäder, vor allem außerhalb der Stadt, wenngleich die wohl eher zum Waschen und Schwimmen geeignet waren. Und es gab, wie üblich in der Klassengesellschaft des 18. Jahrhundert, vier verschiedene Klassen von Bädern, die sich durch Ausstattung und Preise unterschieden. Das Waschen und Schwimmen in Bädern wurde erst um 1850 modern – wie wir dann ein andermal in der Dennewitzstrasse sehen werden.

Nutzung des Grundstückes Schafsgraben, Ecke Potsdamer Allee (heute: Karlsbad, Schöneberger Ufer, Ecke Potsdamer Straße) in den Jahren 1786, 1809 und 1832. Kartenausschnitte aus den frei zugänglichen digitalen Karten des Landesarchivs Berlin, erhältlich unter (https://www.penultima.de/stadtplan/)

Auf einer Karte von Berlin zehn Jahre früher (1809) findet man kein Bad verzeichnet, sondern, an gleicher Stelle eine sogenannte „Cattunbleiche“ (Bild 2B), einige Jahre zuvor offenbar waren dort Wirtschaftsgebäude, vermutlich mit ähnlicher Nutzung: Hier wurde Baumwollstoff (Kattun) nach dem Weben in der Sonne gebleicht, und dazu wurde viel Wasser benötigt, das aus dem Schafsgraben kam; es wurde vermutlich mit einem Stichkanal dorthin geführt. Es gab noch mehr Kattunbleichen entlang dieses Stadtgrabens, eine weitere östlich davon in der Nähe des Halleschen Tors auf der nördlichen Seite, und ein paar Jahre später wurde eine große Fläche südlich des Potsdamer Tores, also da, wo heute der Tilla-Durieux-Park ist, die „Böhmische Bleiche“ genannt.

Womit wir mitten in der Entstehungsgeschichte des Karlsbades sind. Der Kauperts (1) nennt zwar den Besitzer, Samuel Chmelick (in manchen Dokumenten auch Schmelick oder Schmellik oder ähnlich geschrieben) und sagt, das Bad sei zu Ehren des Prinzen Karl (1801-1863), des dritten Sohns von Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise, Karlsbad genannt wurde – erwähnt wird auch die böhmische Herkunft von Samuel Chmelick aus Karlsbad, der irgendwann „vor 1800 am Ufer des Schafsgrabens“ Land erwarb und darauf eine Badeanstalt eröffnete. „1828 erhielt er die Genehmigung, die daran vorbeiführende Privatstraße nach dem von ihm verehrten Prinz Karl von Preußen „Auf dem Carlsbade“ nennen zu dürfen“.

Aber Samuel Chmelick war 1749 in Berlin geboren worden und nicht in Karlsbad in Böhmen, und er ist 1812 im „Adreßkalender “ als Fabrikant und Kaufmann verzeichnet mit der Adresse Friedrichstrasse 239. In der Friedrichstadt in unmittelbarer Nähe war 1735-1737 die Bethlehemskirche (auch: Böhmische Kirche) entstanden, die König Friedrich Wilhelm I. der böhmischen Gemeinde geschenkt hatte, und er hatte den Böhmen 39 Grundstücke in der unteren Wilhelmstrasse geschenkt, die sogenannte „böhmische Walachei“ – was hat es also mit der böhmischen Herkunft von Samuel Chmelick auf sich?

Die Hussiten (die der Lehre des Jan Hus folgten) waren eine unterdrückte protestantische Minderheit im vom katholischen Habsburg dominierten Österreich-Ungarn und hatten sich, wie die Hugenotten aus Frankreich, auf den Weg nach Preußen gemacht, wo Einwanderer aus ökonomischen Gründen (das Land war nach dem 30-jährigen Krieg verarmt und entvölkert) von König und Adel gern gesehen wurden. Desgleichen wurden 20.000 Salzburger Protestanten nach Preußen eingelassen. Nur wurden die von der Bevölkerung wegen des Zuwachses an Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und der Privilegien, die den Exulanten (Böhmen) und Refugies (Franzosen) gewährt wurden, nicht unbedingt freudig empfangen, so dass gerade die Böhmen nur in kleineren Gruppen einwanderten und im Umkreis der Stadt verteilt wurden: so entstanden die Kolonien Böhmisch-Rixdorf (heute Neukölln), Neu-Schöneberg (oder: Böhmerberg), in Stahnsdorf, Friedrichshagen, Schönwalde und anderen Orten bis nach Potsdam (Nowawes, heute Babelsberg). All diese wurden meist sogenannte „Weber-Kolonien“, da die Böhmen mehrheitlich in der Textilindustrie arbeiteten: Eine einzelne Familie besaß vielleicht ein oder zwei Webstühle und verkaufte die Stoffe an einen Fabrikanten (auch „Verleger“ genannt), der sie weiterverarbeiten ließ (bleichen, färben, bedrucken) und dann auf dem preußischen, nationalen und internationalen Markt verkaufte – vorindustrielle, frühkapitalistische Textilproduktion.

Samuels Vater war Wentzel Chmelick (1721-1784), der als Kind mit seinen Eltern Jan Chmelick (????-1749) und Katharina, geb. Kubasek (1693-1763) nach Berlin gekommen war, vermutlich mit der erste Welle von Exulanten von 1732 – die bekamen in der südlichen Friedrichstadt Platz zum Ansiedeln. Weitere Familienangehörige mit den Namen Chmelik und Kubasek finden sich auf einer Liste von 1746, mit der erneut über 100 Familien mit mehr als 450 Personen um Genehmigung zur Ansiedlung ersuchten; sie fanden vermutlich vor allem in Neu-Schöneberg eine Heimat, zwischen dem Dorf (Alt-)Schöneberg und dem (ehemaligen, 1744 angelegten) Botanischen Garten, da, wo heute der Heinrich-von-Kleist-Park ist. Und auch die Chmelicks und die Kubaseks waren Weberfamilien. In Neu-Schöneberg wohnten 1750 etwa 40 böhmische Familien mit etwa 500 Personen, in Böhmisch-Rixdorf waren es 1752 18 Familien mit 280 Personen, und in Nowawes 1759 mehr als 200 Spinner und Weber. Insgesamt betrug die Böhmische Gemeinde in Berlin um 1750 etwa 1500 Personen, die sich allerdings schnell assimilierten.

Wentzel Chmelick heiratete am 1. Februar 1748 die Katharina Urban (1727-1794), Tochter eines weiteren böhmischen Webers, Georg Urban. Der übernahm 1752 eine Kattunfabrik und zog in das Haus in der Friedrichstraße Nr. 239 (kurz vor dem Halleschen Tor), das der König einige Jahre zuvor (1749) Webern überlassen hatte mit der Auflage, dass der dort wohnende Fabrikant 17 Weberfamilien Arbeit gewährleisten müsse. Georg Urban organisierte diese Kattunfabrik genossenschaftlich (Kubasek & Cie.), zusammen mit den Webern Kubasek, Chmelick, und Ostry. „Sie hatten 58 Stühle im Gang, unterhielten 650 Personen, hatten einen Bleichplatz vor dem Potsdamer Tor gekauft und ein Bleichaus gebaut, beabsichtigten eine Druckerei anzulegen und die Stühle bis auf 100 zu vermehren …“ (4). Den Bleichplatz vermachten sie 1759 den Böhmischen Brüdergemeinen, religiösen Traditionalisten unter den böhmischen Einwanderern. In der Folge fanden sich auf dem Areal auch zunehmend Gärtnereien, die die Stadt mit landwirtschaftlichen Produkten versorgten. Die Böhmischen Gemeinen verkauften das Gelände 1837 an die Eisenbahn-Gesellschaft für 12.400 Taler – da war die Zeit des Bleichens vorbei: Wenn Dampflokomotiven vorbeifahren, bleibt kein Auge trocken, kein Wäschestück weiß, und auch das Gemüse schmeckt nicht mehr. Und landwirtschaftliche Flächen werden zu teurem Bauland.

Nach der Hochzeit zogen Wentzel und Katarina Chmelick in das Urbansche Haus in der Friedrichstrasse 239, wo zwischen 1749 und 1771 sieben Kinder zur Welt kamen, von denen einige in jungen Jahren starben; der Erstgeborene war Samuel (1749-1836). Nach dem Tod des Vaters 1784 wohnten dort „die Gebrüder Chmelick“, Samuel und sein Bruder Johann Daniel (1760-1798). Die nahmen an der Gründung der böhmischen Webervereinigung teil (1793),  beantragten den Ausbau des Hauses (1797), und die Entbindung von der Verpflichtung, eine Kattunfabrik zu betreiben (Erlass vom 12. April 1820) – dann verkauften sie das Haus an den Schmied Blaeser (1822), und Samuel zog in eine „Kolonie“ jenseits der Stadtgrenze, auf der anderen Seite  des Schafsgrabens – Jahre später (1861) sollte dies ein Teil von Berlin werden – noch gehörte es zu Schöneberg. Samuel Chmelick besaß dort das Grundstück Ecke Schafsgraben und Potsdamer Allee (heute: Potsdamer Straße), wo noch ein Bleichplatz war (Bild 2B).

Hier beantragte er 1820 die Anlage eines Wassergrabens vom Schafsgraben (dem späteren Landwehrkanal) auf das Grundstück und eröffnete ein Jahr später ein Bad mit 12

Werbeplakats eines Bades in der Schützenstraße (um 1830) mit Angebot und Preisen (aus der Akte des Landesarchivs Berlin: APrBr Rep 030, Nr. 7052)

Wannen, das laut Polizeibericht im Jahr 1831 etwa 6.000 zahlende Gäste sah – bei Preisen von 10 bis 15 Groschen für ein warmes und 2 bis 3 Groschen für ein kaltes Bad (1830) eine ordentliche Einnahmequelle (Bild 3); insgesamt listet der Polizeibericht von 1831 40 Badeanstalten für Berlin. Auch die Anlage eines Flussbades im Schafsgraben (7 Kabinen auf einem 12 x 40 Fuß großen Ponton) wurde 1828 beantragt und – mit Auflagen – bewilligt. Eine davon war der Verkauf eines Teils des Grundstückes, so dass in der Folge an dem entstandenen Privatweg („Auf dem Carlsbade“) eine Reihe von Wohnhäusern entstanden (s. Bild 2C), darunter auch eines für Samuel und seine Familie. Das Bad bestand bis 1838, danach wurde das ganze Grundstück parzelliert und sukzessive bebaut – aber das ist eine andere Geschichte.

Und das Karlsbad wurde natürlich so genannt, weil es in Böhmen das berühmte Marienbad (seit 1528) und das noch berühmtere Karlsbad (seit 1522) gab, beide unter den ältesten und bedeutendsten Kurbädern Europas. Aber vielleicht war Samuel  Chmelick auch so geschickt, den Prinzen Karl vorzuschieben, um die Genehmigung zu Namensgebung zu erhalten.

Literatur

  1. https://berlin.kauperts.de/Strassen/Am-Karlsbad-10785-Berlin
  2. Michael Bienert, Hg. Berlin 1806. Das Lexicon von Johann Christian Gädicke. (Neudruck). Berlin-Story Verlag 2006
  3. Ludwig Delling. Geschichtlich-statistisch topographisches Taschenbuch von Berlin. Berlin 1830
  4. Hugo Rachel. Das Berliner Wirtschaftsleben im Zeitalter des Frühkapitalismus. Rembrandt-Verlag Berlin 1931 (S. 247)

 

2 Kommentare

  1. Lieber Herr Lange: Das ist interessant und mir bislang nicht bekannt, aber da lässt sich sicherlich mehr herausfinden – wobei ich gleich zurückfragen möchte, woher Sie wissen, dass und wo sich Mitte des 19. Jahrhunderts in Berlin Schachspieler getroffen haben. Nehmen Sie doch direkt mit mir Kontakt auf (paul.enck@uni-tuebingen.de) – trotz der Tübinger Email-Adresse: Ich wohne und arbeite im Lützow-Kiez (Lützowstr. 1) – Herzlichst, PE

  2. Nach der Schließung des „Blumengartens“ (bis ca. 1845, Potsdamerstraße) versammelten sich Berliner Schachspieler im Carlsbad-Garten (ab 1858, vermutlich auf dem Carlsbad) und im Marienbadgarten (ab 1855, Bendlerstraße 8, heutige Hohenstauffenstraße). Waren dies Gartenrestaurants, die den Bädern angeschlossen waren? Ähnlich der Mineralwasser-Trinkanstalt von Dr. Struve und Soltmann (ab 1823 Husarenstraße, Reste der Straße in der heutigen Hollmannstraße)?

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