Straßen im Kiez, die es nicht mehr gibt: Dörnbergstraße

Gastbeitrag von Prof. Paul Enck

Nach der Eingemeindung dieses Teils von Schöneberg nach Berlin 1862 war die Straße Nr. 4 ab 1876 mit ihrem Namen Dörnbergstraße im Adressbuch eingetragen worden, mit nur zwei Häusern (Bild 1): der Heese′schen Villa sowie einem Mietshaus an der Ecke Lützowerweg-Straße mit neun Parteien, das dem Geheimen Expeditionssekretär Willmann, vermutlich ein Nachkomme der Bauernfamilie Willmann aus Schöneberg, einer der „Millionen-Bauern“ von Schöneberg (1) gehörte, der in der Kurfürsten-
straße 15-16 wohnte. Die Dörnbergstraße verband als Querstraße die Lützowstraße mit dem Lützowufer, in Tiergarten Süd ist sie heute bekannt als „Die Gasse“.

Der Entwurf der Villa Heese in der Dörnbergstraße war der erste Auftrag für den Architekten Martin Gropius (1824-1880), er war 32 Jahre alt, gerade mit dem Studium fertig, und er baute die Villa so, wie sein großes Vorbild, Karl Friedrich Schinkel (1781-1841), sie gebaut hätte (2) (Bild 2+3), eine Art „kleiner Villa“ nach dem Vorbild der großen Villen im Tiergartenviertel nördlich des Landwehrkanals. Es gibt eine besondere Verbindung, sozusagen einen „seidenen Faden“ zwischen den Familien Heese und Gropius, die auszubreiten hier zu weit führen würde, aber beide Familien sind eng mit der Geschichte der Seidenindustrie in Preußen verbunden (3).

In der Stadtverordnetenversammlung Berlins vom 20. Februar 1879 wird eine schmalere Straße als die im Hobrecht-Plan vorgesehene Breite von nur 11 Metern mit Bürgersteigen von je drei Metern auf jeder Seite vorgeschlagen, nämlich „außerdem für jede Seite ein Vorgartenterrain von je 3,00 m … welche die Bebauung der Straße dem Character der entsprechend eher ermöglichen würde, wie dies jetzt der ist, welche dem dortigen Verkehrsbedürfnisse vollkommen genügt“ – das klingt üppig im Vergleich zu heute (4). Aber es änderte sich schnell: Bereits im Jahr 1885 kaufte das am Lützowufer Nr. 7-8 entstandene Reichsamt für Statistik (in der Karte von Bild 2 ist dies Gelände als „dem Fiscus gehörend“ bezeichnet) einen Teil des Grundstücks in der Dörnbergstraße 6 und dehnte sich aus, während die übrigen Flächen mit Mietshäusern bebaut wurden. Der alte Heese war 1862 verstorben, seine Söhne gaben das Seidengeschäft auf, und die Villa Heese wurde 1888 abgerissen, dort wurden weitere Mietshäuser gebaut.

2. Situationsplan der Dörnbergstraße zum Zeitpunkt vor 1856, als die Lützowstraße noch Lietzower Weg hieß und über die Lützower Feldmark führte (Quelle: Karte aus der Bauakte, abgedruckt in I. Mieck. Seidenbau in Steglitz. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 1982, S.94f)

Es gibt ein Foto der Dörnbergstraße, aufgenommen zwischen 1933 und 1939 aus dem Archiv des jüdischen Museums in Berlin, das die Dörnbergstraße, von der Lützowstraße aus Richtung Lützowufer zeigt, und zwar die rechte Straßenseite mit den Hausnummern 4 bis 7; die Hakenkreuzfahnen machen deutlich, dass es nach 1933 aufgenommen worden sein muss (Bild 4).

4. Fotoaufnahme in die Dörnbergstraße (Ostseite, die Hausnummern 1 bis 6) aus der fotografischen Sammlung des Jüdischen Museum, Sammlung Ruth Westelmajer, Fotografie von 1933-39, Fotograf unbekannt, Inventar Nr. 2005/36/58.

Insgesamt wohnten, laut jüdischem Adressbuch von 1931/32, 17 Familien (Haushalte) in der Dörnbergstraße – bei insgesamt 102 Mietparteien in nur sechs Häusern sind dies rund 15%. Ich habe mich dann gefragt, ob dies auch den Verhältnissen im Blumeshof (s.mittendran vom 15.7.2021) entspricht, der oftmals als exemplarische Straße genannt wird, wenn es um jüdische Bewohner des Bezirks Tiergarten geht: Im Blumeshof mit seinen 15 Häusern mit mehr als 120 Haushalten wohnten laut jüdischem Adressbuch 1931 insgesamt 17 jüdische Familien (Haushalt), mithin 12,5%. Insgesamt wohnten in Berlin zu diesem Zeitpunkt etwa 200.000 Personen jüdischer Konfession, von insgesamt 4,3 Millionen also etwa 5%. Beide Straßen also wiesen, wie vermutlich der gesamte Bezirk Tiergarten, überdurchschnittlich viele jüdische Einwohner auf. Das war die Situation vor der Machtergreifung der Nazis.

Als der Schutt der Bombennacht vom 22. November 1944, die das Tiergartenviertel weitgehend zerstört hatte, weggeräumt war, war von der Dörnbergstraße absolut nichts mehr übrig außer einem Straßenschild an der Ecke Lützowstraße. Davon wiederum gibt es ein eindrucksvolles Foto, das im Archiv der Bildagentur Ullstein ist, aufgenommen von ungefähr der gleichen Stelle wie das obige Foto. Das hätte ich gern an dieser Stelle gezeigt, aber die Agentur wollte dafür eine Lizenzgebühr von 50 Euro/Jahr haben, und das war (mir) entschieden zu viel für diesen Zweck, auch wenn es natürlich nachvollziehbar ist, dass die Agentur damit die Interessen und das Copyright der Autoren wahrt und schützt. Also habe ich nach einem legalen Weg gesucht, das Bild dennoch zu zeigen: Wenn man auf den folgenden Link klickt, öffnet sich ein Fenster zum Ullstein-Bildarchiv, und dort kann man das Foto anklicken und betrachten (gegebenenfalls noch die Bildnummer 07981001 eingeben: https://www.ullsteinbild.de/?82231788017539342720).

Und eh ich´s vergesse: Die Straße ist nach Wilhelm Freiherr von Dörnberg (1766-1850) benannt, einem Spross hessischen Uradels, der nach erfolgreicher Militärkarriere einen – erfolglosen – Aufstand gegen Jerome Bonaparte organisiert hatte, dem Bruder von Napoleon Bonaparte, den dieser zum König von Westfalen eingesetzt hatte. Wilhelm Freiherr von Dörnberg wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt, war aber der große Held nach der Niederlage und Vertreibung Napoleons 1813, und war von 1818 bis 1850 außerordentlicher Gesandter am russischen Hof in Sankt Petersburg.

Literatur

  1. Max Kretzer. Der Millionenbauer. Altberliner Roman. Berlin 1891. Als eBook bei „AGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen 2016.”
  2. Arnold Korte. Martin Gropius. Leben und Werk eines Berliner Architekten 1824-1880. Berlin, Lukas Verlag 2013.
  3. Ilja Mieck. Seidenbau in Steglitz. Das Unternehmen von Johann Adolph Heese. Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 1982. S. 83-99,
  4. Beschlussvorlage Nr. 124 vom 20. Februar 1879 für die Stadtverordnetenversammlung zu Berlin.

 

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