Spaziergang mit Lia Hiltz und Paul Enck (1): Kunstpalais

Vier Augen sehen mehr als zwei, aber manchmal sehen 2 x 2 Augen auch etwas völlig anderes, wenn sie auf das Gleiche schauen. Lia, die kanadische Zeichnerin (s. mittendran.de vom 28.4.2021), sieht den Kiez von heute mit anderen Augen als Paul, der Historiker und Autor von den „Straßen im Kiez“.

Lias Blick auf das Kunstpalais (Copyright: Lia Hiltz)

Lias Blick in den Hof des Kunstpalais (Bild 1). Die hier heute stehenden Häuser an der Potsdamer Straße (heute Nr. 98a, damals Nr. 39) wurden um 1890 gebaut, im Gebäude hinten links in der 2. und 3. Etage (oberhalb der heutigen Camaro-Stiftung, damals das Victoria-Lyceum für Höhere Frauenbildung – Bild 2) befanden sich ab 1893 die Ateliers der Zeichenschule des Vereins Berliner Künstlerinnen und Kunstfreundinnen (VdBK), wie er damals hieß – es gibt ihn immer noch als Verein der Berliner Künstlerinnen (VdBK) (https://www.vdbk1867.de). Der Verein war 1867 gegründet worden und hatte mehrere Interims-Domizile, bevor er hier eine vorläufige Heimat fand (ab 1911: Schöneberger Ufer 38 – heute 71). Dass es eine eigene Malschule nur für Mädchen und Frauen gab, hatte seine Bewandtnis darin, dass Frauen an der Berliner Akademie der Künste nicht zum Studium zugelassen waren. Sie waren daher darauf angewiesen, privaten Malunterricht zu nehmen, hier oder auch bei Professoren der Akademie, die deren Politik falsch fanden, so z.B. Karl Gussow (1843-1904), der seine Schule in der Buchenstraße (einer früheren Seitenstraße der Derfflinger Straße) hatte. Das Privatstudium war nicht nur teurer (es kostete bis zu 800 Mark/Jahr im Vergleich zu 180 Mark/Jahr an der Akademie), es diskriminierte auch die Kunst der Frauen als „diletantisch“ für viele Jahre. Die fadenscheinigen Gründe, mit denen die Berliner Akademie das Frauenstudium verhinderte, waren z.T. „moralischer“ Art: Zum Studium gehörte auch das Aktzeichnen, und das galt als verwerflich und zu verhindern – für Frauen! Aber vor allem war es wohl die Konkurrenz um die nur 180 Studienplätze für Männer an der Akademie, denen 800 „Malweiber“ gegenüberstanden. Hauptgegner der Zulassung der Frauen zum Kunststudium war übrigens der Direktor der Hochschule für die bildenden Künste, Prof. Anton von Werner (1843-1915), der gleich gegenüber in der Potsdamer Straße 113 (heute 81A, Mercator-Höfe) wohnte.

Literatur: Dieter Fuhrmann (Hrsg.): Profession ohne Tradition. 125 Jahre Verein der Berliner Künstlerinnen, ein Forschungs- und Ausstellungsprojekt der Berlinischen Galerie in Zusammenarbeit mit dem Verein der Berliner Künstlerinnen. Kupfergraben, Berlin 1992,

Legende: Der Hof des „Kunstpalais“ 1893, mit der Statue der Venus im Springbrunnen im Vordergrund. Aus: Alix von Cotta: Victoria-Lyceum Berlin, Denkschrift zum 25-jährigen Bestehen. Berlin 1893 – (https://de.wikipedia.org/wiki/Verein_der_Berliner_Künstlerinnen)

Mehr über Lia erfahren Sie hier; mehr zu Paul hier.

 

 

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