Spaziergang in die Vergangenheit (4):
Lützowstraße 60 im Jahr 1938

Im Vergleich zur Bildersuche und der Klärung von Bildrechten ist die Recherche von Familiengeschichten oder Baugeschichten oft schneller, so auch hier: Die Recherche zur jüdischen Familie Fürstenberg am Lützowplatz (1) war weitgehend abgeschlossen, als aus ungeahnter Quelle (Danke, Holger Helm in Radeberg) ein Foto auftauchte, das einen entscheidenden Hinweis gab: Das Haus Lützowstraße 60, das seit 1919 der Familie Fürstenberg gehört hatte, war nach Vertreibung der Familie in den Besitz des Staates übergegangen und beherbergte von 1938 und bis 1943, als es bombardiert wurde, die Heeresplankammer (HPK), ebenso die Häuser 60a und 61. Die HPK ist jene Institution der Deutschen Wehrmacht, die die Straßen- und Geländekarten produzierte, die es der deutschen Wehrmacht überhaupt erst ermöglichte, die Nachbarländer zu überfallen. Die HPK zog 1943 nach Saalfeld (Thüringen) an einen vermeintlich bombensicheren Ort. Dieses Foto aus dem Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden zeigt die letzten Häuser der südlichen Lützowstraße bis zum Lützowplatz, die Hausnummern 57 bis 62. Das stattdessen hier gezeigte Foto der Häuser mit der Nummer 60 und 61 entstammt den HPK-Akten des Bundesarchivs (Militärarchiv in Freiburg, digitalisiert) (2) und ist etwa zur gleichen Zeit aufgenommen, als das Haus für die Zwecke der HPK umgebaut wurden. Bezug war am 1. Oktober 1938, die Zerstörung des Gebäudes durch Bombardement war in der Nacht vom 22. zum 23. November 1943. Im Landesarchiv Berlin wiederum gibt es ein Foto des zerstörten Hauses nach 1947 (Bild 2).

Bild 1: Foto der Lützowstraße 60 und 61 im Jahr 1938 (Fotograph unbekannt, aus (2)).

Bild 2: Das weitgehend zerstörte Haus Nr. 60/60a im Jahr 1947. Quelle: Landesarchiv Berlin, B Rep. 202-01 (Fotos) Nr. 94-03356 / Fotograf: Möbius und Willmanowski, mit freundlicher Genehmigung.

Die Bauakte zur Lützowstraße 60 gibt es nicht mehr, aber es gibt im Rahmen des Wiedergutmachungsverfahrens (WGA) der Fürstenberg-Nachkommen Auszüge aus der Bauakte vom Lützowplatz 5 (heute 9), dessen Grundstück an das Grundstück Lützowstraße 60 stößt und das ebenfalls den Fürstenbergs gehörte (3). Zieht man diese Akte zu Rate, erklärt sich ein weiteres Rätsel, dass in unserer Polemik zu den nationalsozialistischen Bildhauern („Mehr nackte Helden“, mittendran vom 13. Juni 2023) enthalten war. Dort wurde gesagt, dass Hitlers Lieblingsbildhauer, Josef Thorak, sein Atelier in der Lützowstraße 60a hatte. Die WGA-Akte zeigt nun, dass es im Garten des Hauses ein sogenanntes Atelierhaus gab (Bild 3), das ihm bis zum Umzug nach München offenbar als Atelier diente, und das, da es der Zerstörung entgangen war, bis 1945 als temporäres Domizil der Druckerei der HPK zur Verfügung stand.

Bild 3: Grundriss der Grundstücke Lützowstraße 60 und 60a im Jahr 1938. Mit einem roten Kreis markiert ist das Atelierhaus des Bildhauers Josef Thorak (Quelle: Ausschnitt aus (3)).

Zur HPK werden wir demnächst Weiteres berichten, auch dass sie mehr als 300 Beschäftigte in diesen beiden Häusern hatte – und dass von allen diesen Personen Fotos existieren in einer Weihnachtsbroschüre (Bild 4), die im Winter 1941 an Freunde und Familienangehörige verteilt wurde, als in Russland die Kriegswende eingeleitet wurde – aber 300 Namen und Bilder bedeuten auch noch viel Sucharbeit in den Archiven und Bibliotheken.

Bild 4: Titel der Broschüre „Weihnachten 1941, Kameradschaftsfeier, Heeresplankammer“, hergestellt in der Druckerei der HPK. Es handelt sich um eine fotografische Darstellung der vier Abteilungen und des gesamten Personals der HPK und keineswegs, wie der Titel vermuten lässt, um eine Weihnachtsfeier. Die Broschüre wurde antiquarisch in den USA erworben und der Bibliothek des Bundesarchivs in Berlin-Lichterfelde zur Verfügung gestellt.

Literatur

  1. https://www.juele.eu/2023/09/26/das-haus-fuerstenberg-am-luetzowplatz-6/.
  2. https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/direktlink/39ded8c4-abd5-4560-9b00-4ad0348fa79a/.
  3. WGA-Akte im Landesarchiv Berlin, B Rep. 025-05 Nr. 204/49, Blatt 80.

Paul Enck

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