Kintopp im Kiez – die Potsdamer Straße als Kinomeile

Die bewegten Bilder auf der Leinwand, zunächst nur in schwarz-weißer Kurbelmanier, in hektischer Abfolge, stumm und dennoch faszinierend in der Zeit ihres massenweisen Erscheinens Ende des 19. Jahrhunderts, das großstädtische Kino mithin, ist eine Urberliner Angelegenheit. Max Skladanowsky aus Pankow erfand das Bioskop, welches mit dem technisch besseren Cinematographen der französischen Lumiere-Brüder den Beginn der Zelluloid-Kinoverfahren einleitete.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich Berlin in der Stummfilm-Ära bis ca. 1930 nicht nur zu der europäischen Kinometropole, sondern mit Filmstudios in Tempelhof (BUFA), Weißensee (Vitascop), Nowawes-Babelberg (Bioscop) oder Woltersdorf auch zum deutschen Hollywood, als dieses Synonym noch niemand kannte. Gerade auch in Berlins Doppelzentrum vom Alexanderplatz bis hin zum Kurfürstendamm gab es 1910 um die 150 Kinos, 1920 schon 350 und 1936 um die 420. Dies waren vornehmlich die im Berliner Volksmund so genannten „Schmalen Handtücher“, äußerst kärglich eingerichtete Kinosäle mit um die 20 Sitzreihen zu zehn Holzklappstühlen. Ein letzter dieser Art wird in der Friedrichshainer Niederbarnimstraße betrieben, das „Intimes“.
In den Jahren wirtschaftlicher und sozialer Not im Kaiserreich und der Weimarer Republik waren Kinos auch Orte des sozialen Miteinanders oft proletarischer Milieus, galten sie nach Aussagen des kommunistischen Wilmersdorfer Kassenarztes Max Hodann auch als Fluchtorte aus der „Sexualnot“ junger Menschen jenseits ihrer Mietskasernen. Doch schon in den 20er Jahren gesellten sich zu diesen verrauchten „Fummelkisten“ große und teilweise pompös ausgestattete Lichtspielhäuser, ja regelrechte Kinopaläste.

Kinosaal der Kammerlichtspiele im Haus Vaterland 1912. Deutsche Bauzeitung, 12. Juni 1912, Public domain, via Wikimedia Commons

Die Gegend um den Potsdamer Platz und die Potsdamer Straße avancierte frühzeitig zu einem Hotspot  der „kleinen“ und der „glamourösen“ Unterhaltung, je nachdem, was der Geldbeutel herzugeben in der Lage war. Wer es sich leisten konnte, ging um 1925 regelmäßig in die Köthener Straße ins „Haus Vaterland“ mit seinem riesigen Kinosaal oder in die „Biophon-Theater-Lichtspiele“ Potsdamer Straße 38 (heute Wintergarten).

Haus Potsdam, 1912 erbaut, später „Haus Vaterland“, mit Kinematographensaal, 1400 Plätze, Köthener Straße 5 Foto: public domain

 

Innenraum des Biophon, Potsdamer Str. 38, heute Wintergarten Foto: public domain

Für die preiswerteren Vorstellungen, die oft ab dem frühen Nachmittag bis zur polizeilichen Sperrstunde (keine öffentlichen Veranstaltungen nach 24 Uhr) liefen, flanierte man ab 1929 zum „Lützow-Palast“ (Lützow-, Ecke Flottwellstraße) oder in den „Primus-Palast“, von 1922 an der Potsdamer Straße 19. Dieser wurde allerdings schon 1938, nach nur 16 Jahren seines Bestehens, im Zuge der Planungen zu Albert Speers gigantomanem Traum von der „Welthauptstadt Germania“ abgerissen.

Primus-Palast, Potsdamer Str. 19 Foto: public domain

In der Potsdamer Straße 14 befand sich bis 1921 zehn Jahre lang das Kino „Universum“. Ähnlich kurz währte das Leben der „Viktoria-Lichtspiele“ an der Potsdamer Straße 95, das auch 1921 schloss. Als langlebiger, weil sowohl repräsentativer und dennoch preiswerter, erwiesen sich die „Atlantik-Lichtspiele“ im seit 1907 als Kinematographensaal fungierenden Ortrud-Wagner-Theater an der Potsdamer Straße 31. Das „Atlantik“ öffnete 1935 mit der neuen Hausnummer 80.

Foto: public domain

Foto public domain

Als wohl eines der letzten großen Kinoprojekte in Tiergarten gilt das im Jahre 1931 geschaffene „Kino für Jedermann“ im Erdgeschoss des 1908 errichteten Vox-Hauses, der Wiege des deutschen Hörfunks, Potsdamer Straße 10.

Ab 1933 bleibt – nicht zuletzt aufgrund der in Nazideutschland bestehenden Filmförderung für linientreue Historienschinken, antisemitische, rassistische oder geschichtsrevisionistische Streifen, seichte Komödien oder die durch die Nazis im Krieg besonders wichtigen Wochenschauen – die Anzahl der Kinos ungebrochen hoch, ebenso wie die Besucherzahlen.

Nach dem zweiten Weltkrieg gab es in den 50er Jahren immer noch 300 Kinos in Berlin, 30 davon hochfrequentiert, weil sie von US-Offizier Oscar Martay als „Grenzkinos“ im unmittelbaren Bereich der Zonengrenze zwischen Ost und West lagen. So wurde das „Kino für Jedermann“ an der Potsdamer 10 ab 1951 in „Aladin“ umbenannt und durch einen zweiten Saal, das „Camera“, ergänzt. (Ost)-Berliner konnten hier ab 09:30 Uhr – wie in anderen Grenzkinos auch – für 1,25 Ostmark (25 Pfennige West) Eintritt zahlen und all die Filme sehen, die den ansonsten Eingeschlossenen die große weite Welt zu zeigen vermochten. Es wird geschätzt, dass 180 Millionen Kinobesucher aus dem Osten von 1950 bis 1961 diese Grenzkinos besuchten, die vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen von der Vergnügungssteuer befreit waren.

Der Mauerbau 1961 machte den Grenzkinos den Garaus, und nur wenige konnten sich als Programmkinos weiter etablieren. Das große Kinosterben begann Ende der 60er Jahre mit der massenhaften Verbreitung des Fernsehens. Doch wie auch andere tradierte Medien – das Buch etwa – hat das Kino Berlins in den letzten 50 Jahren gezeigt, dass es resilient, ja zu neuen Renaissancen stets bereit zu sein scheint. Dies lässt sich nicht zuletzt am Bau des neuen Potsdamer Platzes mit seinen Cinemaxx oder Cinestar-Premieren-Palästen Ende der 90er Jahre ablesen, sondern auch an der Tatsache, dass auch heute noch, im Zeitalter der Streaming-Dienste und des häuslichen Filmeschauens, 91 Lichtspielhäuser mit 266 Sälen die Menschen unserer Stadt mit einem atmosphärischen Vergnügen beschenken, das in den eigenen vier Wänden in dieser Form nie möglich wäre.

Quelle: Wikipedia

Marc-Thomas Bock

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