Widerstand im Kiez

„Ich habe mein ganzes Leben lang, schon in der Schule, gegen einen Geist der Enge und Gewalt, der Überheblichkeit, der Intoleranz und des Absoluten, erbarmungslos Konsequenten angekämpft, der in den Deutschen steckt und der seinen Ausdruck in dem nationalsozialistischen Staat gefunden hat. Ich habe mich auch dafür eingesetzt, daß dieser Geist mit seinen schlimmen Folgeerscheinungen, wie Nationalismus im Exzeß, Rassenverfolgung, Glaubenslosigkeit, Materialismus, überwunden werde.

Diese Worte schrieb Helmuth James Graf von Moltke kurz vor seinem gewaltsamen Tod an seine Söhne.

Er war Bürger unseres Kiezes. Er wohnte bis März 1943 in der Derfflingerstraße 10.

 

Helmuth James Graf von Moltke vor dem Volksgerichtshof (Quelle:Bundesarchiv)

Was Deutschland durch die Nazi-Bewegung drohte, war von Moltke früher klar als anderen aus seinen Kreisen. Der sozial eingestellte und unbestechliche Jurist war überzeugter Gegner der Nationalsozialisten und lehnte es daher 1933 ab, ein Richteramt in einem Unrechtsregime zu übernehmen. Anders als die meisten Gutsbesitzer und „Junker“, die Hitler – und seine Diktatur – zum Teil begeistert willkommen hießen, suchte er, der Sproß einer berühmten deutschen Adels- und Offiziersfamilie, nach Wegen Deutschland aus den Irrungen und der Verderbnis des Dritten Reichs herauszuführen. Ein amerikanischer Diplomat der damaligen Zeit bezeichnet ihn als „tiefreligiösen Mann von ungewöhnlichem moralischem Mut, ein Idealist und ein überzeugter Anhänger demokratischer Prinzipien“.

Auf seinem Gut in Kreisau (heute Krzyzowa, Polen) organisierte er ab 1942 den „Kreisauer Kreis“, in dem sich Widerständler unterschiedlichster Herkunft verbanden: Konservative und Sozialisten, Gutsbesitzer und Gewerkschaftler, Protestanten und Katholiken. Hier wurden Grundsatzpapiere für einen künftigen demokratischen Staats- und Gesellschaftsaufbau im Geist christlichen und sozialistischen Denkens entwickelt. Durch enge Verbindungen zu oppositionellen Kräften im Amt der deutschen militärischen Abwehr (Canaris) konnte er nicht nur wichtige Kontakte zu antinazistisch eingestellten Militärs und Diplomaten sowie Vertretern von Weltmächten knüpfen, sondern auch deutschen und ausländischen Opfern der NS-Verfolgung helfen. Als er im Januar 1944 versuchte einen Freund, den Gesandten Otto Kiep, vor der drohenden Verhaftung durch die Gestapo zu warnen, wird er selbst festgenommen.

Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 bezichtigte man ihn des Hochverrats, obwohl er an tatsächlichen Handlungen gegen den Staat nicht beteiligt war und ein Attentat als Christ strikt abgelehnt hatte.

Alleine die Tatsache, dass Moltke und seine Mitstreiter darüber nachgedacht hätten, wie ein sich auf sittliche und demokratische Grundsätze zurückbesinnendes Deutschland in einer Zeit nach Hitler entstehen könnte, war für den Präsidenten des Volksgerichtshofs Freisler ein todeswürdiges Verbrechen. Da Moltke eine Beteiligung an Staatsstreich-Vorbereitungen nicht nachgewiesen werden konnte, erfolgte die Verurteilung zum Tode ausschließlich wegen seiner inneren Einstellung.

Am 23. Januar 1945 richtete man Moltke in Plötzensee hin.

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