Spaziergang in die Vergangenheit (31): Noch einmal zur Stierburg, Auf dem Carlsbade 24

Wir müssen noch mal zurück zur Stierburg (Bild 1), dem Wohnhaus des Architekten Wilhelm Stier (1799-1856) Am Karlsbad 24; Die Straße hieß ursprünglich „Auf dem Carlsbade“, daraus wurde „Am Karlsbad“ und später auch einfach nur Karlsbad, und mal mit K und mal mit C geschrieben, nach undurchsichtigen Regeln. Die Adresse Am Karlsbad 24 (vor der Umnummerierung: Nr. 11) gibt es heute nicht mehr, auf der Nordseite der Straße ist heute der Park. Bei unserem ersten Spaziergang (mittendran 28. Juni 2024) hatten wir geschrieben: „Es gibt zu diesem Haus leider keine weiteren Dokumente, Grundrisse etwa und Bauzeichnungen der Innenräume und deren Gestaltung …„. Nun sind diese Dokumente aufgetaucht, in den Bauakten Am Karlsbad 24, die wir eingesehen hatten (1), weil hier von 1915 bis 1838 der Architekt Mies von der Rohe (1886-1969) seine Wohnung bzw. sein Büro hatte – dazu ein andermal mehr.

Bild 1: Die sogenannte Stierburg des Architekten Wilhelm Stier (Quelle: WIkipedia, gemeinfrei)

Was haben wir aus den Unterlagen gelernt? Zum einen war das Haus später erbaut worden als bislang angenommen: Der Partikulier Oswald, dem das Grundstück gehörte, nachdem 1825 die Chmelick’sche Baumwollbleiche in eine Badeanstalt umgewandelt worden war (mittendran vom 11. November 2020) und die Gebrüder Chmelick den Rest der Immobilie zur Bebauung freigeben mussten, verkaufte Stier 1831 ein großes Grundstück zwischen Landwehrkanal und der Straße: das war „Auf dem Carlsbade 11“. Nebenan (Auf dem Carlsbade 10, später umnummeriert zur Hausnummer 23) kaufte Carl Begas der Ältere (1794-1856) zur gleichen Zeit ein etwa gleich großes Grundstück für sein Wohnhaus, das der Architekt und Steinmetz Cantian dort errichtete (mittendran vom 16. September 2024). Und der große Landschaftsarchitekt und Gartenbaumeister Peter Joseph Lenné (1789-1866) plante, wie schon gezeigt (mittendran vom 11. Januar 2025), für beide Häuser einen gemeinsamen Kunstgarten, der allerdings wohl nie realisiert wurde.

Bild 2: Grundriss des dreistöckigen Wohnhauses Auf dem Carlsbade 11 des Architekten Wilhelm Stier (Quelle. Bauakte (1)).

Das Wohnhaus wurde 1837 fertiggestellt, unter Stiers eigener Regie. Es handelte sich um ein freistehendes, viergeschossiges, nahezu mit quadratischer Grundfläche ausgestattetes Haus mit zwei Wendeltreppen im Hausinnern, was man heute durchaus als „Punkthaus“ bezeichnen könnte (Bild 2). Dadurch hatten alle um ein Kernzimmer gelegenen Räume freien Blick in die verschiedenen Himmelsrichtungen, in die zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend unbebaute Landschaft der sogenannten Schöneberger Flur. Zeitgenössische Beschreibungen (2) schwärmten von dieser Lage weit vor den Toren der Stadt. Wenige Jahre später (1839) war allerdings die Reihe der Villen entlang der Straße Auf dem Carlsbade fertiggestellt (Bild 3).

Bild 3: Karte von 1839 (Ausschnitt aus „AKS 331 A; Der Königliche Tiergarten [„Thiergarten“] bei Berlin mit den nächsten Umgebungen“ im Brandenburgischen Landeshauptarchiv Potsdam, gemeinfrei).

In den Beschreibungen wurde auch festgehalten, dass Stier sein Atelier im obersten Stockwerk hatte. Aber was zunächst wie eine spektakuläre Burgzinnen-Lage aussah und den Namen Stierburg zu rechtfertigen schien, entpuppte sich nach Einsicht in die Bauakten als eine Art potemkinsches Gebäude: Das Haus hatte ein relativ steiles Giebeldach, dass sich hinter einer Burg-ähnlichen Fassade versteckte (Bild 4), in der die oberste Fensterreihe ausschließlich dekorativen Zwecken diente und keinerlei Funktion hatte. Ohne dieses Wissen wirkt die Fassade spektakulär und hochmodern, aber mit diesem Wissen wirft sie eine grundsätzliche Frage auf: Warum wurde dieser Schein überhaupt erzeugt und gewahrt?

Bild 4: Hausfassade vor der Giebelfront (aus: Bauakte (1)).

Dazu muss man wissen, das Flachdach-Konstruktionen zu dieser Zeit (1835) und noch für weitere Jahre vielleicht gewünscht, wenngleich noch nicht möglich waren, weil die Abdichtung von Flachdächern gegen Wassereinbruch technisch noch nicht gelöst war. Dies war zum Beispiel auch beim Bau der Friedrich-Wilhelms-Universität ein technisches Problem: 1836 experimentierte der königlich-preußische Baumeister George Killmar (1801-1887) auf dem Dach der Universität mit diversen Dichtungsmitteln auf der Basis von Teer (5). Teer war gerade erst „erfunden“ worden war, sozusagen als Abfallprodukt aus der Gasproduktion für die Stadtbeleuchtung (6), und treibender Motor des Fortschritts war die Notwendigkeit zur Konservierung der hölzernen Schienenschwellen der erst 1838 in Berlin eingeführten Eisenbahn. Daran wesentlich beteiligt waren neben Killmar, der an der Keithstraße seine Villa hatte (Cottage Caroline, mittendran vom 27. April 2021), ein weiterer früher Kiezbewohner und Unternehmer, der Chemiefabrikant Julius Rütgers (1830-1903), dessen Villa an der Kurfürstenstraße 134 stand und dessen ehemaliger Firmensitz noch heute an der Lützowstraße 33-36 steht (mittendran vom 30. Mai 2021).

Nachdem wir also hinter die Fassade der Stierburg geschaut haben, erscheint uns diese Architektur weit weniger spektakulär als vielleicht vor allem dekorativ, insbesondere wenn man bedenkt, dass Flachdach-Konstruktionen von Wohnhäusern erst 100 Jahre später, in der Bauhaus-Architektur, eine adäquate technisch-funktionelle wie optisch-ästhetische Lösung gefunden hatten – womit wir bei Mies von der Rohe sind, der Am Karlsbad 24 gearbeitet hatte, aber dies gehört in eine andere Geschichte.

Literatur

  1. Bauakte Karlsbad 24 im Landesarchiv Berlin: A Rep. 010-02 Nr. 32095.
  2. Ludwig Pietsch: Wie ich Schriftsteller geworden bin. Der wunderliche Roman meines Lebens.
  3. Mittheilungen für Gewerbe und Handel, Band 2 (24. Lieferung 1839), Seite 476f.
  4. Gerd Collin: Geschichte der Steinteerkohlechemie am Beispiel der Rütgerswerke. Urban Verlag, Hamburg 2009.
  5. Herbert Liman. Mehr Licht. Geschichte der Berliner Straßenbeleuchtung. Verlag Haude und Spener Berlin 2000.

Paul Enck

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