„Wem nützt die Urbane Mitte?”

(ein Beitrag von Günther Pienig, gleisdreieckblog)

“Hochhäuser im Gleisdreieck – Wer will denn sowas?” fragt die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck in den “Gesprächen am Bauzaun” die stadtpolitischen Sprecher:innen der Grünen, Linken und der SPD. Am 11.9. stellten sich die Linken den Fragen von rund 40 Bürger:innen, die auf den Platz an der Skaterbahn gekommen waren.

Dass die Linken die sieben Bürohochhäuser ablehnen, haben sie in der vergangenen Legislaturperiode mehrfach betont. In der Diskussion am Sonntag hoben sie neben den ökologischen Gründen die grundsätzliche stadtpolitische Bedeutung einer solchen Investition hervor. Denn, so fragte Gaby Gottwald, als wohnungspolitische Sprecherin lange Jahre im Abgeordnetenhaus und seit 2021 in gleicher Funktion in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg:

Wem nützt dieser Bau eigentlich?”

Auf jeden Fall nütze er nicht der Bevölkerung der näheren und weiteren Umgebung, die dringend Erholungsflächen braucht. Er werde auch keine Entlastung des Wohnungsmarktes bringen, denn es sind nur Büros und Geschäftsräume geplant. Dieser Bau nütze nur denen, die mit den spekulativ steigenden Bodenpreisen ihre Gewinne machen.

Und die Urbane Mitte, darauf wies Gottwald hin, sei nur eines von vier Investoren-Großprojekten im Kreuzberger Westen. Auch der Umbau des Postscheckamt-Turms zur “Macherei”, der ökologisch aufgepäppelte Holzturm der UTB und die Investition am “Hafenplatz”, wo Eigentumswohnungen und – außer einigen geförderten Wohnungen der Gewobag – hochpreisige Mietwohnungen entstehen sollen, werden den Charakter des Quartiers drastisch ändern. Gottwald erinnerte daran, dass die Bewohnerschaft zwischen Kanal und Askanischem Platz laut Sozialstrukturatlas unter sehr prekären Bedingungen lebt.

“Diese alteingessene Bevölkerung wird die Mieten nicht zahlen können und wird verdrängt. Viele von ihnen leben bereits jetzt in Altersarmut. “

Auch Niklas Schenker, wohnungspolitischer Sprecher der Linken im Abgeordnetenhaus, sah die Urbane Mitte vor dem Hintergrund der grundlegenden Fehlentwicklungen der Berliner Stadtentwicklung. Im Koalitionsvertrag zwischen Grünen, Linken und SPD seien aber einige Vereinbarungen getroffen, die jetzt als Hebel gegen diesen “diesen Ausverkauf der Stadt” genutzt werden könnten. Dazu gehöre eine grundsätzliche Neuausrichtung der Liegenschaftspolitik, die auch den Rückkauf von Grundstücken ermöglicht. Dafür wurde eigens ein Fonds eingerichtet. Vereinbart wurde auch, das Projekt Urbane Mitte zu überprüfen, inwieweit es

“den aktuellen klimapolitischen Aufgaben und den Bedarfen vor Ort noch gerecht wird”.

Diese Bedarfe, unterstrich Schenker noch einmal, gebe es offenkundig nicht, die Bevölkerung brauche ganz was anderes als so einen Bürokomplex.

Was aber kann noch verhindert werden bei einem Projekt, dessen Investor bereits 2005 das Recht bekam, sieben Büro- und Geschäftshochhäuser zu bauen? Derzeit wird der Vertrag von Bausenator Geisel überprüft. Wenn das Ergebnis vorliegt, wird es in den drei Regierungsfraktionen diskutiert. Nachdem die Grünen aus Bezirk und Land auf dem vorangegangenen “Gespräch am Bauzaun” – für viele überraschend eindeutig – erklärt haben, dass sie das Bauvorhaben ablehnen, wäre eine klare Mehrheit der Koalition dagegen. Falls die SPD den Bau der Bürohochhäuser weiter unterstützt, gäbe es einen Konflikt, der in letzter Instanz im Koalitionsausschuss ausgetragen werden müsste.

Spätestens dann dürfte es auch um Geld gehen. Denn über all den Diskussionen um Sinn und Unsinn der Hochhäuser schwebt die Frage, was es letztlich kosten würde. Die spekulative Bodenpreissteigerung dürfte das Grundstück, das ursprünglich knapp 8 Millionen Euro gekostet hat, um ein Vielfaches verteuert haben. Zu befürchten ist, dass der Investor sich diese Preissteigerung – für die er, nebenbei bemerkt, nichts getan hat (Gottwald sarkastisch : “leistungsloses Einkommen – hat nicht jeder…”) – teuer bezahlen lassen wird, wenn er überhaupt in Verhandlungen einwilligt. Was dann? Schenker:

Wir stimmen gegen das Projekt. Dann wird über den Preis verhandelt werden müssen. Wieviel es letztlich sein wird, steht überhaupt noch nicht fest. Bestimmt nicht die Summe mit all den Spekulationsgewinnen, die der Investor geltend machen dürfte. Es ist gibt genügend Ansatzpunkte, die Entschädigung drastisch zu senken. Da werden wir alle Mittel nutzen.”

Die beiden Linken sind sich auch einig: Die Frage, unter welchen Bedingungen der Investor bereit ist, zu verkaufen wie auch die grundsätzliche Frage, ob das Grundstück den Investoren ausgeliefert bleiben soll oder wieder zum Wohle der Allgemeinheit genutzt wird, darüber wird letztlich der Druck entscheiden, der in der Öffentlichkeit aufgebaut wird. Und hier ist noch Luft nach oben. Die Urbane Mitte und die Folgen seien zu wenig bekannt – die Stadtgesellschaft müsse informiert und alarmiert werden. Gottwald und Schenker bedankten sich in diesem Zusammenhang bei der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e.V., die seit Jahren innerhalb und außerhalb der Verwaltung über das Projekt aufkläre.

Auch bei diesem zweiten Gespräch am Bauzaun war die große Unbekannte also die SPD. Darum wird der kommende Sonntag, 18. September, besonders spannend, wenn die die SPD ihre Position erläutert. Zugesagt haben die neue BVV-Fraktionsvorsitzende Hannah Sophie Lupper, Lars Rauchfuß, Mitglied des Abgeordnetenhauses, sowie Asad Marad, Bürgerdeputierter im BVV-Ausschuss für Stadtentwicklung. Beginn wieder 14 Uhr auf dem Platz bei der Skaterbahn.

Text: Günter Piening, Fotos: Uli Klose

zuerst erschienen im gleisdreieckblog

 

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