„Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“

…war das Leitmotiv des preußischen Sanitätsrats und Sexualforschers Dr. Magnus Hirschfeld (14.5.1868 – 14.5.1935). Im Mai 1897 hatte er mit anderen das Wissenschaftlich-Humanitäre Komitee mit dem Ziel der Entkriminalisierung der Homosexualität gegründet. Die Gruppe wollte bereits damals in Deutschland den berüchtigten Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches, der Homosexualität unter Strafe stellte, abschaffen. Hirschfeld gilt als Begründer der Sexualwissenschaften. Er verfasste eine dreibändige Sexualpathologie und schrieb Medizingeschichte, als er zusammen mit dem Arzt Ludwig Levy-Lenz 1930 die erste geschlechtsangleichende Operation durchführte.

Magnus Hirschfeld (1868-1935) war Begründer der ersten homosexuellen Bürgerrechtsbewegung     (©: Archiv der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V., Berlin)

Nach der Gründung der ersten deutschen Republik 1918 erfüllte sich Magnus Hirschfeld einen lang gehegten persönlichen Traum. Er erwarb die In den Zelten 10 / Ecke Beethovenstraße 3 (Tiergarten) gelegene ehemalige Villa Joachim, das zeitweilige Palais de Ville des Fürsten von Hatzfeld. Nach Umbauten gründete er hier am 6. Juni 1919 das private Institut für Sexualwissenschaft – das erste seiner Art. Gegen den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Mainstream wollte er eine institutionalisierte Sexualwissenschaft etablieren und der „Förderung wissenschaftlicher Forschung des gesamten Sexuallebens und Aufklärung auf diesem Gebiete“ einen Ort sowie einen rechtlich geschützten und finanziell gesicherten Rahmen verschaffen. So waren denn auch die namhaften – vorwiegend sozialliberalen – Sexualwissenschaftler, die 1921 an der „Ersten internationalen Tagung für Sexualreform auf sexualwissenschaftlicher Grundlage“ teilnahmen, der Überzeugung, dass Sexualwissenschaft die Voraussetzungen für gesellschaftliche Reformen schaffen würde. Sie sprachen sich gemeinsam gegen „einen bevormundenden Staat in Fragen der Sittlichkeit“ aus.

Das Institut wurde mit seinem Archiv zur Sammlung, Sichtung und Bearbeitung einschlägiger Dokumente sowie als Museum zur Demonstration sexualwissenschaftlicher Publikationen zu einem Anziehungspunkt im Berlin der „Goldenen Zwanziger“.

  • Es diente als Lehr- und Schulungsstätte zur Fortbildung von Ärzten, als Vortragsort für interessierte Laien und vor Allem als Anlaufstelle für Menschen, die Fragen zu ihrer Sexualität hatten und auch medizinische Hilfe benötigten.
  • Es war die ambulante Einrichtung zur Beratung bei Sexualproblemen und zur Untersuchung, Begutachtung und Behandlung von Sexualstörungen.
  • Es war der organisatorische Mittelpunkt für alle damaligen sexualreformerischen Aktivitäten und Organisationen.
  • Es war ein Ort der Forschung, der Aufklärung und der Beratung.
  • Und es war ein Zufluchtsort für Menschen in sexueller Not. In einer Zeit, in der Homosexualität illegal war und Transgender-Personen diskriminiert wurden, war das Institut ein sicherer Hafen für Menschen, die sich aufgrund ihres Sexualempfindens nicht verstanden und gar verfolgt fühlten. Leider nur für knapp 14 Jahre – bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten.

Den Nazis war Hirschfeld gleich mehrfach verhasst – als Jude, als Homosexueller, als Sozialist und als unabhängiger Sexual-Forscher.

Sie sahen in ihm ein „Sicherheitsrisiko, eine Gefahr für das Bevölkerungswachstum der arischen Rasse“. In der Richtlinie zur „Säuberung“ von Bibliotheken wurden Hirschfelds Publikationen beispielhaft als „volks- und rassezerstörende“ Schriften diffamiert und ihre Vernichtung gefordert. Dreizehn Jahre und elf Monate nach der Gründung war es vorbei mit dem „geschützten Rahmen.“  Auf Trompetensignal hin stürmten, plünderten und zerstörten Sportstudenten des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes Anfang Mai 1933 das Institut für Sexualwissenschaft. Sie stahlen 15 Zentner Literatur aus der weltweit bekannten Fachbibliothek und brachten sie zum Studentenhaus in der Oranienburger Straße.

Studenten der Deutschen Hochschule für Leibesübungen am Institut für Sexualwissenschaft vor der Plünderung am 6. Mai 1933 (©United States Holocaust Memorial Museum, Public domain, via Wikimedia Commons)

Mit anderen gestohlenen oder unter Gewaltanwendung geraubten Büchern aus anderen Bibliotheken – von Autoren oder mit Inhalten, die den Nazis missfielen – wurden sie am 10. Mai zum Opernplatz gebracht und in der Dunkelheit mit sogenannten „Feuersprüchen“, die nur so von Intoleranz, Rassismus und Antisemitismus strotzten, verbrannt. (Bücherverbrennung 1933)

In den folgenden Monaten und Jahren wurde die homosexuelle Bürgerrechtsbewegung zerschlagen, wurden schwule Treffpunkte geschlossen, entsprechende Zeitschriften verboten und Zehntausende homosexuelle Männer zu Gefängnis, Zuchthaus und Konzentrationslager verurteilt.

An das Hirschfeld-Institut erinnert heute nur noch eine eher bescheidene Gedenktafel, die 75 Jahre nach seiner Gründung am 6. Juli 1994 in der Nähe des ehemaligen Standorts aufgestellt wurde.(Fotos:bse):

 

 

 

Immerhin ist im Schwulen Museum in der Lützowstraße eine Büste Hirschfelds zu finden:

Magnus Hirschfeld Büste im Schwulen Museum (© via Wikimedia Commons)

Laut Koalitionsvertrag der zukünftigen möglichen CDU-SPD-Regierung Berlins (2023) soll allerdings „Zum Gedenken an den deutschen Arzt, Sexualforscher und Empiriker Magnus Hirschfeld, der schwul, Sozialist, Jude und Mitbegründer der weltweit ersten Homosexuellen-Bewegung war, der 14. Mai als Magnus-Hirschfeld-Tag etabliert und sein Wirken mit einer jährlichen Veranstaltung gewürdigt werden“.

 

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